Wo Tiger zu Hause sind
los, ziehen Sie!«, rief Herman, der selbst mit einem Fisch rang. »Es kann nichts passieren, einfach ziehen, keine Sorge! Aber passen Sie auf, wenn er an Deck ist, dann lassen Sie besser Yurupig machen, der beißt Ihnen sonst mir nichts, dir nichts den Finger ab.«
Goldenes Gefunkel im schaurigen Dunkel des Wassers. In großem Bogen, der all ihre Kraft erforderte, schleuderte Elaine einen glitzernden Piranha an Deck. Rasch war der Indio zur Stelle: Zwei kraftvolle Hiebe mit einem Knüppel, und es war vorbei mit dem Gezappel, dem Elaine ungeschickt auszuweichen versuchte.
»Schauen Sie,
beleza
!«
Er hatte ebenfalls einen Fisch aus dem Wasser gezogen und hielt ihn lebendig in der Linken, so dass Elaine nicht erschließen konnte, ob sein galant-unverschämtes Wort ihr galt oder dem Tier. Sie sah, wie Petersen dem Fisch – er hatte einen enormen Überbiss – die Spitze seines Messers zwischen die Kiefer schob; die beiden Reihen dreieckiger Zähne, grässliche Hauer in Wirklichkeit, schnappten nach der Klinge, mehrmals hintereinander, wie eine Heftmaschine: Mit schaurigem Knirschen und dank einer Hebelbewegung Hermans mit dem Messer brach sich der Piranha jedes Mal einen Zahn aus …
»So, der braucht keinen Zahnarzt mehr!«, prustete Herman, stolz über seine Vorführung. »Ihr glaubt nicht, was die im Wasser alles anrichten … Im Schwarm brauchen die nur ein paar Minuten, um einen Ochsen zu fressen. Wisst ihr, was
piranha
auf Tupi-Guarani bedeutet? »Scherenfisch« … Nicht schlecht, was?«
Trotz des abstoßenden Äußeren des Fischs widerte die sinnlose Tortur, die Petersen ihm antat, Elaine an. Gleich verbesserte sie sich in Gedanken: Es war eine stupide Tortur, eine grausame, sie war alles, wozu menschliche Idiotie imstande ist, aber ganz sicher nicht »sinnlos«, denn das hätte ja impliziert, es könne eine sinnvolle Quälerei geben. Gerade wollte sie Herman sagen, er solle das grausame Spiel beenden, da trat Yurupig auf ihn zu.
»Lass los«, sagte er ruhig, aber in bedrohlichem Tonfall. »Sofort!«
Kurz maßen die beiden Männer einander mit Blicken. Herman setzte ein Lächeln auf, als ob nichts wäre:
»Ich lasse ihn nicht nur los, ich lasse ihm sogar das Leben«, meinte er, zu Elaine gewandt. »Um der schönen Augen der jungen Frau willen …«
Und mit demonstrativer Bewegung warf er den blutenden Piranha ins Wasser.
Yurupig drehte sich zu den konzentrischen Kreisen hin, die bereits wieder zerflossen, drehte die Handflächen gen Himmel und murmelte ein paar unverständliche Sätze. Dann ging er ohne ein weiteres Wort ins Innere des Schiffs.
»Ich hab einen, ich hab einen!«, rief Mauro, dem der ganze Auftritt entgangen war.
Herman nutzte die Ablenkung, um ihm zur Hand zu gehen. Diesmal erschlug er den Piranha ohne weitere Umschweife, als er ihn auf Deck hatte.
»So«, meinte er unternehmungslustig, »noch zwei oder drei, und es reicht für eine gute Suppe.«
Während er die Leinen neu mit Ködern bestückte, ging Elaine zu ihm und fragte:
»Was hat er gesagt?«
»Wer?«
»Yurupig, wer sonst. Stellen Sie sich nicht dumm.«
»Irgendwelchen Unsinn, Indio-Kauderwelsch … Kümmern Sie sich nicht darum.«
»Er hat für den Fisch gebetet«, sagte Detlef ernst. »Ich habe nicht ganz alles verstanden, aber er hat die
Gerechtigkeit des Flusses
beschworen und sie um Vergebung für den Tod des armen Tiers gebeten.«
»Aber er hat gelebt!«, rief Elaine, »ich habe ihn wegschwimmen sehen.«
»Das ist ja das Schlimme. Er hat
noch
gelebt, aber mit der Verletzung durch den Haken und ohne Zähne wegen diesem … Menschen. Hoffen wir für ihn, dass ihn die anderen gleich gefressen haben, sonst braucht er Tage, bis er verreckt ist.«
Elaine sah Herman verächtlich an; ihre Augen funkelten zornig.
»Sie haben das gewusst, oder?«
»Ja, na und? Was schert mich das? Sie wollen mich doch nicht für einen blöden Piranha anmachen! Immer mit der Ruhe, und spielt euch mal nicht so auf, sonst …«
»Sonst was?« Detlef fasste ihn scharf ins Auge. »Ich darf dich darauf hinweisen, dass wir dich schon bezahlt haben. Also wirst du dich beruhigen, und zwar sofort!
Hermans Pupillen schienen sich vor Wut zu verdunkeln. Ohne Antwort und mit einem Schulterzucken wandte er sich ab und warf die Tür der Offiziersmesse hinter sich zu.
»Ich habe gar nicht gewusst, dass du Tupi sprichst«, sagte Elaine zu Detlef nach diesem Wortwechsel. »Wo hast du das gelernt?«
»Richtig sprechen tu ich’s nicht«,
Weitere Kostenlose Bücher