Wo Tiger zu Hause sind
räumte Detlef ein, »aber doch genug, um mich mit den Indios soweit nötig zu verständigen. Ich hab an der Uni in Brasilia Kurse genommen, das hat mir oft geholfen, eine Fundstätte aufzutreiben oder irgendwo am Ende der Welt Fossilien zu sammeln. Du solltest es auch versuchen.«
»Da hast du recht. Wenn wir zurück sind, fange ich an.«
Yurupigs Verhalten hatte sie beeindruckt. Zum ersten Mal seit der Abfahrt, das fiel ihr jetzt auf, hatte sie seine Stimme gehört. Deutlich stand ihr sein Profil vor Augen, wie er Petersen entgegentrat: der kupferfarbene Teint, die mandelförmigen Augen, die flachrückige, wie knochenlose Nase, die man in Form hätte drücken wollen, und fleischige Lippen, die er beim Sprechen kaum bewegte. Er trug eine von Schmutz und Schmieröl starrende Latzhose und hatte immer eine Baseballkappe verkehrt herum auf, unter der ein dichter Schopf hervorquoll, was aussah wie ein Federbusch über der Stirn. Elaine war er von vollkommener Schönheit erschienen, vor allem bei seinem ergreifenden Gebet an die Piranhas.
»Was ist eigentlich passiert?«, fragte Mauro, der sich über Hermans plötzliches Verschwinden und die verärgerten Mienen seiner Dozenten wunderte.
Elaine schilderte es ihm mit ein paar Sätzen.
»Hm, das fängt ja nicht gut an, was?« Er kratzte sich den Kopf. »Über Bord werfen müsste man das Schwein und ohne ihn weiterfahren.«
»Ich traue ihm einfach nicht …«, sagte Elaine wie im Selbstgespräch. Und zu Detlef: »Und außerdem, weißt du was? Der macht ständig schlüpfrige Bemerkungen, völlig plump … alle paar Minuten versucht er’s wieder.«
»Das darf doch nicht wahr sein!« Jetzt war Mauro wirklich aufgebracht. »Der Säufer! Dies … dies Nazi-Arschloch!«
»Pass auf, was du sagst«, wies Detlef ihn zurecht. »Das ist nur ein Gerücht, ich hätte besser nichts gesagt. Vergiss nicht, dass unsere Expedition von ihm und seinem Schiff abhängt. Und für dich gilt das auch, Elaine. Wir müssen noch zwei oder drei Wochen mit ihm auskommen, da müssen wir uns alle miteinander zusammenreißen. Ich weiß nicht, was zwischen ihm und diesem Indio läuft, aber wir sollten uns nicht einmischen.«
»Obwohl er ihn so gedemütigt hat?«, widersprach Elaine.
»Ich hab’s gesehen, und es sprich nicht für ihn. Aber es ist erst mal nicht mehr als ein Piranha, und er hat ihn wieder ins Wasser getan. Nicht übertreiben.«
Mauro ballte die Fäuste. »Das ist das Schlimmste!«
»Schluss damit. Ich will nichts mehr davon hören. Und vor allem kein Wort zu Milton, verstanden?«
»Wie denn, was denn? Habt ihr etwa Geheimnisse vor mir?«, hörten sie plötzlich Miltons Stimme in ihrem Rücken. »So was mag ich aber gar nicht …«
Ein, zwei verzweifelte Sekunden lang dachte Detlef schuldbewusst nach, wie er sie aus dieser unangenehmen Lage befreien konnte. Elaine kam ihm zu Hilfe:
»Also gut«, meinte sie resigniert, »dann ist die Überraschung eben im Eimer. Unser Pech, aber wenn Sie alles gehört haben …«
»Was für eine Überraschung denn?« Er unterdrückte ein Gähnen. »Entschuldigt, ich hab geschlafen wie ein Stein. Zu viel Wein beim Mittagessen, das bekommt mir einfach nicht. Also, Kinder, was wollt ihr dem alten Milton nicht verraten?«
»Dass es zum Abendessen Piranhasuppe gibt …«, fing Elaine an, ohne eine Ahnung, wie sie weiterreden sollte.
Milton blickte sie fragend an.
»Ja«, sprach sie weiter, jetzt geradezu in Panik, denn ihr wollte einfach nichts Überzeugendes einfallen, »wir … also Petersen behauptet, Piranhasuppe würde … aphrodisierend wirken …«
Mauro nahm den Faden auf, gespielt peinlich berührt: »Und wir wollten einen Selbstversuch machen, wie es so schön heißt … Eine Pennäleridee, ich bin schuld. Morgen hätten wir Ihnen alles verraten …«
»Wie ich sehe, amüsiert ihr euch gut hinter meinem Rücken«, gluckste Milton. »Aber ich kann euch beruhigen, Gott sei Dank habe ich das nicht nötig: Trotz meines Altes bin ich in dieser Hinsicht noch ausgesprochen rüstig.«
Kurz darauf, Milton und Detlef waren miteinander weggegangen, bedankte Elaine sich bei Mauro, dass er ihr zu Hilfe gekommen war.
»Sie haben mich wirklich gerettet!«, lachte sie. »Ich wusste nicht, wie ich aus dieser Lügengeschichte wieder herauskommen sollte.«
»Ach, nicht der Rede wert.« Mauro spürte, wie er errötete. »Ich war selbst überrascht, sonst bin ich nicht besonders schlagfertig. Ich wundere mich immer noch, dass er das so
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