Wo Tiger zu Hause sind
sein, Sie haben bei der Prüfung zwar jämmerlich versagt, aber ich verrate Ihnen trotzdem, dass Gouverneur Moreira etwas im Schilde führt … Ich weiß nicht genau, was, aber ganz koscher ist es nicht …«
»Was denn?«
»Irgendjemand kauft die gesamte Halbinsel von Alcântara auf, sogar das nicht urbare Brachland oder die Güter, die nichts einbringen. Ich habe gute Gründe zur Annahme, dass Moreira hinter den diversen Strohmännern steckt, die diese Ankäufe tätigen.«
»Aber warum sollte er so etwas tun?«, fragte Eléazard, plötzlich interessiert.
»Das, mein Lieber, müssen Sie selbst herausfinden.« Und seine Augen funkelten listig, als er hinzufügte: »Wenn Sie mich zur Fazenda do Boi begleiten beispielsweise …«
Fazenda do Boi
Alcântara International Resort.
»Gut, ich lese es Ihnen noch einmal vor:
Seine Exzellenz Gouverneur de la Rocha und Gattin bitten Senhor und Senhora …
Hier lassen Sie bitte eine Lücke, und bitte breit genug, ja, es gibt nichts Ärgerlicheres, als den eigenen Namen zusammenquetschen zu müssen …
ihnen bei einem Empfang die Ehre Ihrer Anwesenheit zu geben: 28 . April ab 19 Uhr, Fazenda do Boi,
dann die bekannte Adresse … Ja, hundert Stück. Ich schicke jemanden vorbei, der holt sie morgen Nachmittag ab. Danke … Auf Wiederhören, Senhor.«
Carlotta legte den Hörer auf und seufzte erleichtert. Sie hielt die Hände über das Telefon und sah mit einem kaum wahrnehmbaren verächtlichen Lächeln zu, wie sie leicht zitterten.
Du trinkst zu viel, altes Mädchen … Wo soll das alles enden? Denkst du, es reicht nicht, dass du alt wirst?
Und gleich wieder die unwiderstehliche Lust, sich ein Gläschen zu genehmigen, das erste des Tages, nur um sich ein wenig besser zu fühlen, um dieser quälenden Angst zu entkommen, die keine andere Antwort bereithielt als unendlich viele neue Fragen. Ein Abgrund tat sich vor ihr auf, ihr Herzschlag stolperte und beschleunigte den unerträglichen Zusammenbruch ihres ganzen Seins. Sie warf die vormittags gefassten guten Vorsätze über Bord, nahm ein Viertel Lexomil und ließ sich in einen Sessel plumpsen, direkt einer Enthauptung Johannes des Täufers gegenüber, die in ihrem Schlafzimmer prangte. Ein großes, allzu akademisch gemaltes Bild, trotz mancher Qualitäten in der Behandlung des Lichts, das einzig Bemerkenswerte war die Signatur: Vítor Meireles, jener brasilianische Maler, der sein Werk der Verherrlichung des Kaiserreiches gewidmet und erstmals indianische Themen mit einbezogen hatte, freilich sehr zurückhaltend und ohne die Berechtigung der Eroberung der Seelen durch die christliche Religion irgend in Zweifel zu ziehen. Von allen in ihrer Familie vererbten Gemälden war dieses Carlottas Lieblingsstück, da ihre Urgroßmutter, Gräfin Isabella de Algezul, im Jahre 1880 für die Salome Modell gesessen hatte. Einst hatte die junge Carlotta dem Porträt ihrer Vorfahrin derart frappierend geähnelt und so viele begeisterte Kommentare dafür geerntet, dass sie sich als junge Frau darin gefiel, ihr Haar wie die jüdische Fürstin zu tragen, ihre königinnenhafte Haltung zu imitieren und die Augen mit der ebengleichen leicht angewiderten Tristesse über den Platten mit zum Aperitiv gereichten Keksen niederzuschlagen, die sie den Gästen ihrer Eltern servierte. Ja, sie hatte ihr körperlich und seelisch geglichen, so sehr, dass mancher gar an der Echtheit des Bildes zweifelte und es mehr als einen an den Rand des Wahnsinns trieb … Salomé, unbesiegt und unzugänglich, die Nymphe Echo, einem feuchten Firnistraum entstiegen mit ihrem zu einem schweren Knoten gedrehten roten Haar und dem gespenstisch bleichen Gesicht, in dem die Emotionen sich in kränklichen Flecken abzeichneten: Lange hatte sie nur auf diese Weise erröten können, sozusagen allergisch beim brutalen Kontakt mit der Dummheit.
Von dieser einzigartigen Schönheit war nicht viel geblieben. Bis sie ungefähr fünfzig war, hatte Carlotta dank allerlei Cremes und Diäten eine gewisse Übereinstimmung mit dem Bild ihrer Jugend bewahren können. Um ihres Sohnes willen, um seiner stolzen Augen willen, wenn er berichtete, welche Glut sie bei seinen Klassenkameraden zu entzünden vermochte … Und dann war Mauro weggegangen, was zeitlich mit den Beweisen dafür zusammenfiel, wie wenig ihr Gatte draußen in der Welt auf sie gab. Das in
Manchete
veröffentlichte Foto hatte sie in Wahrheit sehr viel weniger dessentwegen schockiert, was es zeigte, wie José es gern
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