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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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glauben wollte, als dadurch, dass es eine Tragödie aufdeckte, die sich schon seit geraumer Zeit vor dieser jämmerlichen Szene abspielte. Carlotta hatte Moreira da Rocha aus Liebe geheiratet, in einer Zeit, als er nichts als ein verführerischer Hochstapler war; gegen den Rat ihrer Eltern hatte sie sich blind gestellt gegenüber seiner Kulturlosigkeit und seinem Macht- und Gelddurst. Neulich, allein in der Fazenda mit diesem erniedrigenden Zeitschriftenfoto, war ihr klargeworden, dass sie ihn nicht mehr liebte, dass er sie wahrscheinlich sowieso nie geliebt hatte. Das war das Schlimmste. Fünfunddreißig Jahre an der Seite eines Mannes, den sie, das erkannte sie heute, schon immer verachtete … weil er sich rühmte, in der Zeitung nur den Wirtschaftsteil zu lesen, und Marcel Proust, von dem er nie auch nur eine Zeile gelesen hatte, eine »kleine dreckige Schwuchtel« nannte.
    Diese spät gewonnene, durch die Verbitterung verstärkte Erkenntnis hatte alles mitgerissen und sogar Carlottas eigenes Bild im Spiegel ruiniert. Make-up und andere Kunstgriffe können den Verfall des Körpers nie maskieren: Solange die Liebe lebt, in welcher Form auch immer, unterstreichen, schützen sie eine Schönheit, die weit jenseits des banalen Alters liegt. Sie gehören zu einem Spiel mit strengen Regeln, dem Spiel der zärtlichen Liebe, bei dem es bekanntlich nichts zu gewinnen gibt als den Genuss, es weiterspielen zu können. Diejenigen, die, da Kinder oder unverbildet, noch von keinem Verdacht angekränkelt sind, meinen, sie sähen die Wirklichkeit ungeschminkt, denn ihr Vertrauen ist noch grenzenlos. Sobald sie entdecken, wie naiv das war, wird der Zauber der Welt wirkungslos und degeneriert zur Illusion, mit anderen Worten zum Gegenteil des Glaubwürdigen. Diese vom Verlust des Vertrauens bewirkte Hässlichkeit, das wusste Carlotta verschwommen, ließ sich nicht überschminken.
    Gedankenverloren ließ sie die Hände über ihr welkes Fleisch wandern, befühlte die schlaffen Muskeln, rollte unter der müden Haut die Fettknubbel zwischen den Fingern. Erstaunlich, wie der Körper Fett produzierte, sobald er nicht mehr genügend gefordert war … Als würde er unsere kleinsten Nachlässigkeiten gegenüber dem Leben bemerken und nutzen, um aus einer gerechten Sorge um Ausgleich denen, die den Kreislauf des Lebens nach seinem Tod fortsetzen, reichere Nahrung zu bieten. Unter der dämpfenden Wirkung des Lexomils lächelte sie ein bisschen dämlich bei dieser ihr ganz neuen Vorstellung: Den Prozess beschleunigen, sich vollfressen, saufen und abermals saufen, nicht, um zu »vergessen« – nichts und niemand konnte ein gescheitertes Leben vergessen machen –, sondern um dick zu werden, um so enorm aufzugehen wie möglich, bevor sie starb, und auf diese Weise den Kräften des Lebens ein Opfer zu bringen. Sie stand auf, blätterte in ihrem Adressbüchlein und wählte die Nummer des La Bohème, des besten Restaurants von São Luís. »Hallo … Gräfin Carlotta de Algezul am Apparat, geben Sie mir bitte Isaac Martins …«
    Da fiel ihr Blick auf die Whiskyflasche, die sie am Vorabend nicht fertig hatte leeren können, und sie griff nach ihr.
    »Hallo, ja … Wie geht es Ihnen, mein lieber Issac? … Oh, mir geht es immer gleich gut, obwohl es als Frau eines Gouverneurs nicht immer lustig ist. Aber nun. Genau darum rufe ich Sie an: Mein Mann gibt in zwei Wochen einen Empfang hier in der Fazenda, und ich wollte fragen, ob Sie das Catering übernehmen könnten … Rund hundert, vielleicht ein paar mehr, Sie wissen ja, wie das geht … die Leute denken, sie müssen in Begleitung kommen, und in was für einer manchmal, ich sage Ihnen … Wir brauchen ein komplettes Abendessen, richtig üppig: Langusten, Meeresfrüchte, Braten … groß auffahren, genau … Gefüllte Krabben? Warum nicht … Wenn Ihnen sonst noch etwas einfällt, schreiben Sie es dazu, ich vertraue Ihnen ganz und gar. Wir brauchen drei oder sogar vier identische Buffets, im Haus verteilt, engagieren Sie so viel Zusatzpersonal wie nötig, es soll vor allem keiner hinterher klagen, er hätte auf den Service warten müssen … Schauen Sie doch morgen mal hier auf der Fazenda vorbei, was halten Sie davon, dann können wir alles durchsprechen und planen? Lieber vormittags … ausgezeichnet. Also, dann bis morgen, Isaac … Auf Wiederhören.«
    Carlotta legte auf und trank den ersten Schluck Whisky für heute. Das ließ sich doch gar nicht so übel an. José hatte

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