Wo Tiger zu Hause sind
Werke des Zufalls oder irgendeiner Kreatur sein. Ebenso ist ja das Wirken meines Handelns kein Ausfluss meiner Klugheit & entstammt der Erfolg nur selten den Wegen, die ich wähle, also muss ganz offenbar auch in diesen Dingen eine göttliche Vorsehung walten …«
Diese Antwort gefiel mir nun ausnehmend, & ich bewunderte sehr, dass sie nicht, wie der Großteil der Frauen sonst, gesagt hatte, sie stelle sich Gott als einen altehrwürdigen Greis vor.
»Und da sich wiederum zeigt, dass ich mit Euch rede wie mit noch niemals jemandem, kann ich Euch anvertrauen, dass, wären da nicht die heiligen Bande, die mich an meinen Gatten fesseln, ich mit Freuden mein Leben unters Joch Jesu spannen würde. Nicht in einem Kloster, dort ist das Kreuz noch zu leicht zu tragen, sondern in einem Hospiz, das ohne Unterschied Kranke aller Arten aufnimmt, aus welchem Lande, von welcher Religion sie auch sein mögen, um ihnen unterschiedslos zu dienen, & mich im Namen des einzigen Gatten, der diesen Namen verdient, ihren Gebresten zu widmen. Ich weiß, ich ertrüge es, wenn meine Augen von den widerwärtigsten Schauspielen gequält würden, meine Ohren von den Schreien & Flüchen der Kranken & mein Geruchssinn von allen Ausdünstungen des menschlichen Leibes. Von Bett zu Bett würde ich Jesus zu diesen Elenden tragen, würde ihnen Mut zusprechen, nicht mit banalen Worten, sondern durch das Beispiel meiner Geduld & meiner Nächstenliebe, & ich würde es dergestalt tun, dass Gott selbst sie in sein Mitleid fasste …«
Die Augen der Fürstin waren feucht geworden bei der Beschreibung dieses ihres geheimen Wunsches. Sie war gemäldegleich schön, wirkte nobel & groß, hielt sich frei & majestätisch, mit ehrlicher Stirn und der sanften, schmiegsamen Stimme einer Heiligen! Diese junge Frau war hinreißend in jeglichem Sinne, & ihr Mann der schrecklichste aller …
»Ganz außergewöhnlich!« Unvermittelt wandte der Fürst sich mir zu. »Caspar, ich Euch beneiden: Euer Meister ist der erstaunlichste aller Gelehrten! Wir bald gemeinsam setzen ins Werk große Dinge …«
Ich errötete bei dieser Ansprache, als hätte man mich bei einer Sünde ertappt & als könnte der Fürst meine Gedanken lesen.
»Ihr übertreibt«, beschwichtigte ihn Kircher, »nur das Wissen ist großartig, & nur es allein verdient Eure Komplimente. Doch entschuldigt, Madame, dass ich Euren Gatten so lange vereinnahmt habe, mir scheint, dies Gespräch war kaum geeignet, Euch zu fesseln.«
»Habt keinerlei Sorge, Pater. Pater Schott und ich haben uns über Dinge der Religion ausgetauscht, & ich bin es, die meine Pflichten als Gastgeberin versäume. Ich gestehe, ich habe nicht ein einziges Wort Eurer Unterredung mit meinem Manne gehört, & das verdrießt mich recht wohl, obgleich ich wahrscheinlich nicht viel verstanden hätte.«
Kircher widersprach ihr höflich, & als käme ihm eine plötzliche Eingebung, anerbot er sich, die Runde zu zerstreuen:
»Nun, da wir dies ausgezeichnete Mahl beendet haben, scheint mir der Augenblick für ein amüsantes Experiment geeignet: Was meint Ihr, ist man leichter vor dem Essen oder danach?«
»Gutt, gutt, gutt …« Der Fürst rieb sich zufrieden die Hände. »Ich aufnehme die Herrausforderung! Methodisch, immer methodisch, wie sagte der Monsieur Descartes … Nach dem Essen ich mich fühle leichter, obwohl zu mir genommen habe mindestens vier Pfunde Nahrung. Diese Idee ist klar & deutlich in meine
intellectus
, folglich ist wahr: Innere Kraft von Leib verwandele Huhnchen, Fisch & andere Nahrung in Warme; Warme bewirke innere Hitze, & Hitze Leichtigkeit … Wann essen wir zu viel, fliegen wir davon!, nicht ist wahr?«, lachte er.
Unverzüglich läutete der Fürst & befahl, man möge die Waage aus dem Kontor herbeischaffen. Dies geschah in wenigen Minuten, mit Mühe nur konnten die Diener die schwere Apparatur zu uns heranschleifen.
»Wie viel wiegt Ihr gewöhnlich?«, erkundigte sich Kircher.
»Einhundertezweiundezwanezig Pfund«, antwortete der Fürst, »nicht hab gewechselt Gewicht seit fruhe Jugend.«
»Gut. Wenn Ihr also vier Pfund Nahrung zu Euch genommen habt, so sage ich, nunmehro müsst Ihr einhundertsechsundzwanzig Pfund wiegen.«
»Ah, wer weiß!« Entschlossen erstieg der Fürst die Platte der Waage.
Kircher stellte die Gewichte ein, bis sich der Wiegebalken im Gleichgewicht befand, & gab laut das Ergebnis bekannt:
»Einhundertsiebenundzwanzig Pfund, drei Unzen & ein Lot! Ihr habt heute
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