Wo Tiger zu Hause sind
nieder, & wir beteten zwei Stunden lang unausgesetzt.
Am Morgen des 24 . Dezembers herrschte graues, kaltes Wetter, und im ganzen Hause wurden die Kamine angefeuert. Die Köche arbeiteten fleißig, & die Bediensteten gingen Mal ums Mal zum Eingang des Parks, von wo sie mit Nahrungsmitteln beladen zurückkehrten; der gesamte Hausstand vibrierte in der eifrigen Vorbereitung des Festes. Fürstin Alexandra sah ich den ganzen Tag über nicht, sie hatte gewiss den Fortgang der Arbeiten zu überwachen. Kircher unterredete sich mit dem Fürsten in der Bibliothek. Ich meinerseits meditierte zur Vorbereitung auf die Feier der Ankunft des Herrn über das Mysterium der Weihnacht.
So verspürte ich inneren Frieden, als mein Meister mich mitten am Nachmittag holen kam.
Die ersten Gäste trafen ein; manche fanden sich bereits zu kleinen Gruppen in den verschiedenen Salons des Hauses zusammen. Der große Empfangssaal war geöffnet worden, und ich war höchlichst erstaunt: Man stelle sich eine umfängliche Rotunde vor, deren Kuppel innen dicht bei dicht mit Hunderten Spiegeln ausgekleidet war, die solchermaßen eine große konkave Fläche bildeten. Fünf große Kristallleuchter hingen schwer von Kerzen von der Decke herab. Die Wände bestanden aus einer Komposition echten & perfekt imitierten Marmors, darinnen Nischen mit den bunt kolorierten Büsten der berühmtesten Philosophen des Altertums. Der Fürst hatte sich nicht gescheut, in einer noch etwas reicher geschmückten muschelförmigen Nische überm Eingang seine eigene Büste & die seiner Frau aufzustellen, versehen mit einer Devise folgenden Wortlauts:
»Betrachtet, oh Sterbliche, im prunkenden Strahlen des Kristalls das Abbild der menschlichen Vergänglichkeit!«
Auch bemerkte ich eine Vielzahl von al fresco gemalten Wappen, auf welchen allerlei Sinnsprüche zu lesen waren nach der Art jener, welche Kircher bei unserer Ankunft entziffert hatte. Das Parkett aus Einlegearbeiten von Mahagoni & Rosenholz glänzte hinreißend. All dies jedoch war nicht vom besten Geschmack: Es herrschte zu viel Zurschaustellung & zu wenig wahre Schönheit; doch die Spiegel, welche Farben, Lichter und Bewegungen unendlich vervielfachten, schufen eine wahrhaft zaubrische Stimmung. Ein Grüppchen wie Figuren aus einer römischen Tragödie gekleideter Musiker spielte leise.
Als der Fürst uns erblickte, trippelte er uns eifrig entgegen, erbat Stille & präsentierte Kircher der Versammlung; ein neuer Archimedes sei dies, der Ruhm seines Jahrhunderts, durch dessen Anwesenheit & Freundschaft er sich geehrt fühle. Es gab ein wenig diskreten Applaus, dann huben die Gespräche umso lebhafter wieder an. Wir nahmen auf einer der im Saal verteilten Bänke Platz, & der Fürst erläuterte uns die Identität der zu diesem Abend geladenen Personen.
Es waren zugegen Sieur François de La Mothe Le Vayer, bekannt für seine Dialoge nach Art der Alten, Conde Manuel Cuendias de Teruel y de Casa-Pavón, Denys Sanguin de Saint-Pavin, dem ein Ruf als Wüstling vorauseilte, Jean-Jacques Bouchard, ein notorischer Freidenker, dazu einige Poeten & Denker sowie ein buntes Durcheinander von Damen & kleineren Marquis, an deren Adelsprädikaten sich auch der wortgewandteste Zeremonienmeister die Zunge gebrochen hätte. Alles Personen, die mit dem Fürsten hinreichend vertraut sein mussten, um den hochnotpeinlichen Eingangsprüfungen nicht mehr unterzogen zu werden.
Als die Nacht weidlich vorangeschritten war, ließ der Fürst im Spiegelsaal, in den er uns zuvor, den Finger auf den Lippen, gelockt hatte, die Kerzen löschen & die Türen schließen. Kaum sahen wir uns in völlige Finsternis getaucht, da schwebte vor unseren Augen die Jungfrau Maria an einer Wand, in Lebensgröße & im Lichterkranze strahlend. Das Blau ihres Umhangs war klar und deutlich zu erkennen, wie auch das Inkarnat ihrer Wangen, sie wirkte ganz lebendig! Rings um mich ließ sich verblüfftes Murmeln vernehmen. Erschrocken klammerte die Fürstin sich an meinen Arm. Ich mutmaßte bereits, dass mein Meister an dieser wundersamen Erscheinung nicht ganz unbeteiligt war, & da ertönte auch schon seine Stimme. Durch ich weiß nicht welchen Kunstgriff mächtig verstärkt, hallte sie von allen Seiten in der Kuppel wider:
»Fürchtet euch nicht, oh ihr, die mich höret! Hinter dieser Erscheinung verbirgt sich nichts, das sich nicht behelfs einfacher Naturgesetze erklären ließe. Der Fürst, unser Gastgeber, hat es für günstig befunden, uns alle
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