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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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Abend etwas mehr gegessen, als Ihr dachtet …«
    »Unglaublich!«, lachte der Fürst.
    Und nachdem er selbst die Genauigkeit der Messung nachgeprüft, verlangte er, dass auch wir uns dem Experiment unterzögen. Kircher stieg auf die Waage: Wie sich erwies, hatte er sieben Pfund zu sich genommen, worob er sich mit dem Hinweis entschuldigte, sein Gewicht sei seit Rom nicht mehr kontrolliert & daher wohl unterschätzt worden. Ich war durchaus nicht überrascht, dass ich nur ein Pfund mehr wog denn sonst, hatte ich doch während der Mahlzeit kaum ans Essen gedacht. Die Fürstin verweigerte sich der Probe, die gegen die natürliche Koketterie ihres Geschlechtes gegangen wäre, doch vergaben wir ihr diese Widersetzlichkeit gern. Bald darauf zog sie sich zurück, & ich tat es ihr gleich, als der Fürst den Wunsch äußerte, sich mit meinem Meister über gewisse vertrauliche Gegenstände zu besprechen.
    Sobald ich auf meinem Zimmer war, prüfte ich mein Herz & stellte fest, wie sehr die Fürstin mich bezauberte. Ihre Tugend & Reinheit erschienen mir beispielhaft, & ich verspürte große Befriedigung dabei, mir ihr Gesicht in Gedanken vor Augen zu führen. Lange betete ich zu Gott & las bis spät nachts in den
Exerzitien
. Dann aber folgte ich dem Hinweis des heiligen Ignatius, es sei Sünde, allzu sehr an der gedeihlichen Dauer des Nachtschlafs zu sparen, ich legte meinen höchlich lästigen Bußgürtel wieder an & schlief ein.
    Als ich anderntags erwachte, musste ich feststellen, dass ich
lintea pollueram
, & das Wissen, dass ich dem Dämon nachgegeben hatte, wenn auch ohne jede Erinnerung daran, entsetzte mich. Erneut zog ich meinen Bußgürtel fest bis zum Äußersten, dann begann ich meinen Tag mit einer vertieften Gewissenserforschung.
    An jenem Tage & den folgenden bis Weihnachten bekam ich Kircher & den Fürsten kaum je zu Gesicht. Sie hatten sich in der Bibliothek eingeschlossen, wo sie einem geheimnisvollen Werk nachgingen; mehrfach leisteten ihnen von außen dazugekommene Arbeiter Gesellschaft, was mich die Erfindung einer neuen Maschine vermuten ließ. So war ich mir selbst überlassen und genoss es, nach Wohlgefallen die Herrin meiner Gedanken zu sehen; wir besprachen Dinge aller Arten, lasen mitsammen die neuen Bücher, die ihr gesandt worden, oder musizierten. Und die Fürstin schien diese unschuldigen Beschäftigungen derart zu genießen, dass ich keinerlei Schuld dabei empfand, sie solchergestalt zu erfreuen. Tagtäglich zeigte sie sich gewisser in ihrem Beschluss, den Schleier der Hospitaliterinnen zu ergreifen, sobald die Vorsehung ihr dazu Gelegenheit geben würde, & ich bekräftigte sie vollen Glaubens darin.
    Die Mahlzeiten dauerten nicht mehr so lang wie jene unseres Ankunftstages; der Fürst & Kircher aßen rasch – wenn sie es sich überhaupt gönnten, die Bibliothek zu verlassen –, um sich möglichst schnell wieder ans Werk zu begeben. Während jedoch der Fürst mir fröhlich wie ein Spatz erschien, wirkte Kircher nervös & besorgt. Am Vorabend des 24 . Dezembers suchte er mich kurz nach zehn Uhr abends in meinem Zimmer auf, mit noch viel ernsterer Miene als sonst.
    »Die Würfel sind gefallen, Caspar, und ich fürchte mich vor den Folgen meiner Taten. Der Feind verkleidet sich in so vielen verschiedenen Gewändern … Und sosehr ich auch gewohnt sein mag, seinen Listen zu trotzen, diesmal bin ich nicht sicher, dass es mir gelingen wird. Doch genug des hasenfüßigen Geredes! Wisse, dass der Fürst für morgen Abend nach der Mitternachtsmesse, die der Pfarrer von Bagheria in der Kapelle dieses Hauses abhalten wird, einige Personen zum Nachtmahl geladen hat. Du kennst den absonderlichen Geist des Fürsten, & ich muss den Rat zur Vorsicht, den ich dir bei unserer Ankunft gab, erneuern. Hüte dich, über das, was du sehen wirst, zu urteilen, oder irgendjemanden durch voreilige Reaktionen zu beleidigen, & sage dir, was auch immer geschehen mag, dass ich deine Sünden auf mich nehme. Ich habe zum Wohle der Kirche gehandelt. Sollte ich mich getäuscht haben, werde ich allein Buße üben.«
    Erschrocken ob dieser Rede, versicherte ich meinem Meister, er könne mir voll und ganz vertrauen, & ich wollte eher sterben, als seinen Anweisungen zuwiderzuhandeln.
    »Du bist ein tapferer Junge«, Kircher fuhr mir mit der Hand durchs Haar, »und mehr wert als ich. Doch sei aufs Schlimmste gefasst, mein Kind, & vergiss nicht: Das Heil der Kirche steht auf dem Spiel.«
    Dann kniete er

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