Wo Träume im Wind verwehen
wohl niemanden überraschen. Sie haben es kommen sehen.«
»Was?«
»Beim Ball, so wie du ausgeschaut hast … Ich musste meine Männer zusammenstauchen wegen der Kommentare, die sie losgelassen haben. Eine Seeräuberbande, mit Manieren wie Rowdys. Sie haben mich aufgezogen, weil ich dich verteidigt habe; sie meinten, du hättest mich am Haken. Aber du warst wirklich hinreißend,
Mädchen im weißen Kleid.«
»Was?«
»So heißt das Porträt doch, oder? Es ist das einzige Gemälde von Hugh Renwick, das ich ertragen kann. Ich sagte dir ja, dass ich es mir angesehen habe. Ich ging damals durch die Galerie, in der es hängt, und da war es, am Ende des Raums. Ich stand davor wie angewurzelt. Mir war, als befände ich mich im selben Raum mit dir. Nur, dass ich gerne gewusst hätte, was du damals dachtest. Irgendetwas war in deinen Augen …«
»Er hat das Bild gemalt, nachdem wir unseren Briefwechsel beendet hatten, du und ich.«
»War da irgendetwas passiert?«
»Ja.« Caroline dachte an Andrew Lockwood.
»Komm mit aufs Schiff. Du kannst es mir ja auch dort erzählen.«
»Ich kann nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich würde gerne, aber ich habe heute alle Hände voll zu tun.«
»Ich hätte dich gerne dabei, wenn wir die Kiste mit dem Gold bergen. Ich möchte, dass du sie siehst.«
»Was ist das für ein Gefühl? Ich meine, einen Schatz zu finden?« Caroline hatte sich bei ihm untergehakt und blickte auf den Fluss hinaus.
»Ich wünschte, ich könnte es beschreiben.« Joe bückte sich, um einen Stein aufzuheben. Er war flach und glatt; und er rieb mit dem Daumen über die Oberfläche. »Aber das geht nicht. Das muss man mit eigenen Augen gesehen haben.«
»Ist es schöner als das hier?« Caroline nahm die Kameenbrosche aus ihrer Tasche und hielt sie ans Licht.
»Als Marco Polo aus China zurückkehrte, erzählte er von den Wundern dieser Erde, die er gesehen hatte. Da seine Berichte das Vorstellungsvermögen der Menschen in seiner Heimatstadt überstiegen, bezichtigten sie ihn der Lüge. Als er auf dem Sterbebett lag, forderten sie ihn auf, seine Sünden zu bekennen, bevor er seinem Schöpfer gegenübertrat. Und weißt du, was Marco Polo gesagt hat? ›Ich habe euch nicht einmal die Hälfte berichtet.‹«
Joe nahm Carolines Gesicht in seine Hände und sah ihr tief in die Augen. »So empfindest du das?« Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Damit sagte er ihr durch die Blume, warum er zur See fuhr, welche Wunder der Erde er gesucht und gefunden hatte und warum es ihn immer wieder trieb, Abschied zu nehmen.
»Komm aufs Schiff, um dir selbst ein Bild zu machen.«
»Ich weiß nicht.«
»Heute Abend? Morgen? Ich schicke dir das Boot.«
Caroline zögerte. Sie dachte an Skyes Worte, dass sie niemanden an sich heranließ, dass sie immer das Leben ihrer Schwestern statt ihr eigenes gelebt hatte. Und sie dachte an das, was Joe ihr gesagt hatte – Großmut zeige sich nicht nur im Geben, sondern auch im Nehmen.
»Ich habe heute Morgen noch einiges zu tun«, erwiderte sie bedächtig. »Aber ich könnte heute Nachmittag kommen.«
»Wir holen dich am Moonstone Point ab.«
Sie kehrten ins Haus zurück. Caroline behielt die Kameenbrosche die ganze Zeit in der Hand, selbst als sie ihn zum Abschied küsste.
Irgend jemand war gestern während ihrer Abwesenheit in der Küche gewesen. Augusta fand Kieselsteine auf dem Boden verstreut. Die Bilder auf dem Tisch waren verrückt. Und im Spülstein standen zwei Gläser. Sie hatte einen Verdacht, und der gefiel ihr nicht. Es war später Vormittag, und sie wartete auf Skye, um sie zu befragen.
»Setz dich«, sagte Augusta, als sie erschien, bot ihr die Wange zum Kuss und schob sie zu ihrem Platz am Tisch. »Ich habe Frühstück für dich gemacht.«
»O Mom, ich kann nichts essen. Ich möchte nur Kaffee.«
Augusta tat so, als hätte sie nichts gehört. Wenn Skye erst den köstlichen Duft der Muffins roch und sah, dass Augusta Blaubeeren von den Büschen neben der Felsentreppe zum Strand gepflückt hatte, würde sie ihre Meinung ändern. Die Muffins waren klein, mit goldbrauner Kruste. Augusta nahm vier aus dem Backofen, die sie dort warm gehalten hatte, legte sie in einen Brotkorb mit einer karierten Serviette und stellte sie vor Skye hin.
»Ich wollte, ich könnte behaupten, der Orangensaft sei frisch gepresst, Liebes.« Augusta füllte ein Glas. »Aber das entspricht nicht ganz der Wahrheit. Ich habe zu spät bemerkt, dass ich nicht genug Saftorangen habe. Deshalb
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