Wo Träume im Wind verwehen
strahlend.
»Weil mein Vater ihm die Frau genommen hatte, die er liebte«, sagte sie mit fester Stimme. »Und deshalb wollte er Gleiches mit Gleichem vergelten.«
»Er wollte sich an seiner Frau und seinen Töchtern rächen. Mein Vater wollte
dich
töten.«
»Aber er hat es nicht getan, Joe. Er brachte es nicht übers Herz.«
Joe schloss die Augen.
»Ich habe ihn in guter Erinnerung behalten«, sagte Caroline. Ihre Kehle brannte. »Er war kein schlechter Mensch, nur völlig verzweifelt. Verrückt vor Liebe, verstehst du.«
»Hm.«
»Das da hatte er bei sich.« Caroline griff in ihre Tasche. Sie hatte gehofft, dass sich die Gelegenheit ergeben würde. Trotzdem zitterten ihre Finger, als sie Joe das Kinderbild reichte, verschmiert vom Blut seines Vaters.
Joe nahm das Foto. Er hielt es in der Hand und betrachtete es lange. Als er aufschaute, loderte sein Blick vor Zorn. Er wischte sich über die Augen.
»Zum Teufel damit!«
»Er hat dich geliebt«, sagte Caroline. Sie sah, wie viel Anstrengung es Joe kostete, die Tränen in ihrer Gegenwart zurückzuhalten. Er fixierte einen Punkt über ihrem Kopf, sich zusammenreißend. Dann schloss er die Augen und die dunklen Wimpern ruhten auf seinen von Wind und Wetter gegerbten Wangen. »Das hat er wirklich«, sagte Caroline unbeirrt, als er schwieg.
Die einzige Reaktion war ein Zucken seiner Mundwinkel. Die See war zusehends kabbeliger geworden. Eine Leine an Deck hatte sich aus ihrer Verankerung gelockert und peitschte gegen die Planken wie der Schwanz eines lebendigen Tiers, was Joe veranlasste, aufgeschreckt die Augen zu öffnen. Ein Fall schlug im Wind, Metall schabte über Metall. Joes Blick wurde schlagartig klar, die blauen Augen kehrten zu der alten Fotografie zurück.
»Ich mag das Bild«, sagte sie. »Ich kann verstehen, wenn du es behalten möchtest. Es gehörte schließlich deinem Vater, aber es gefällt mir sehr. Und es bedeutet mir sehr viel.«
»Mein Bild?« Joes Stimme klang härter als je zuvor. »Warum?«
»Es erinnert mich an einen alten Freund. Joe Connor.«
»Das war einmal.«
»Ich konnte es nicht fassen, als du mir verboten hast, dir zu schreiben. Ich hatte keine Ahnung, dass du glaubtest, unsere Väter wären befreundet gewesen. Ich dachte, du wüsstest, was geschehen war. Als ich merkte, dass du die Wahrheit nicht kanntest, fand ich, es sei nicht an mir, sie dir zu sagen.«
»Das war es auch nicht. Früher habe ich anders darüber gedacht, aber das war falsch. Wir waren schließlich noch Kinder.«
Caroline schlug die Augen nieder, bemüht, das Zittern ihrer Hände unter Kontrolle zu bekommen. Sollte das bedeuten, dass er ihr vergab? Dass er ihr ein Unrecht verzieh, das zu begehen nie ihre Absicht gewesen war? Warum konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, dass es ihm ungemein schwer fiel, auch nur eine Spur Nachsicht mit ihr zu haben? Seine Lippen waren zusammengepresst, die Augen unerbittlich und abweisend. Wahrscheinlich wollte er nun, da er die gewünschte Auskunft von ihr erhalten hatte, nur noch, dass sie ging. Als sie wieder aufschaute, sah sie, dass er das Foto anstarrte, das er immer noch in der Hand hielt.
»Es muss schrecklich für deine Familie gewesen sein«, sagte Caroline.
Der Anflug einer Gefühlsregung huschte über Joes Gesicht. Er legte das Bild auf den Tisch, blickte es aber weiter an und berührte dann den Blutfleck mit einem Finger.
»Oder? Was ist passiert?«, hakte Caroline nach.
»Nicht viel. Meine Mutter heiratete nach ein paar Jahren wieder. Aus der Ehe stammt ein Sohn, und sie hatte die Chance, es bei ihm richtig zu machen.«
»Sam.«
Für Caroline waren Geschwister ein Segen. Sie konnte sich ein Leben ohne sie nicht vorstellen. Vielleicht erging es Joe mit seinem Bruder genauso, denn seine Augen wurden weicher, sein Mund entspannte sich. Er schob das Foto mit einer heftigen Bewegung über den Tisch zu Caroline hinüber, als wäre er ein für alle Mal fertig damit. Vielleicht war es keine Absicht, aber es landete auf dem Fußboden.
»Ja. Er ist zwar eine Nervensäge, aber ganz passabel. Und Ozeanograph, ausgerechnet, war an derselben Uni wie ich. Ganze siebenundzwanzig Jahre ist er alt, unser Doktor Allwissend.«
»Klingt so, als wärst du sein Vorbild gewesen«, entgegnete Caroline lächelnd.
Joe zuckte mit den Schultern. Sein Lächeln erlosch, als eine andere Erinnerung sich seiner bemächtigte. Er blickte Caroline in die Augen, als wolle er erneut die Klingen mit ihr kreuzen. »Ich habe deinem
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