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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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paar Tagen. Wart's ab …«
    Mir war, als sähe ich sie lächeln. Die Form, wie sie ihre Freude ausdrückte, ließ ein Bild vor meinen Augen entstehen.
    »Wunderbar! … Sag mir nur deine Ankunftszeit, dann holen wir dich vom Flughafen ab! …«
    Sie sprach wahrscheinlich davon, daß sie mit ihrem Mann kommen würde. Offen gesagt, gefiel mir die Aussicht, sie bei unserer ersten Begegnung nach all den Jahren in dieser Begleitung zu treffen, nicht besonders. Doch es war weder notwendig noch sinnvoll, ihr meine Gefühle mitzuteilen. Ich zog es vor, dem Geschehen seinen eigenen Lauf zu lassen.
    »Gut, ich sage Bescheid … Schau an, das ist schön. Ich habe mich sehr nach Izmir gesehnt. Seit Jahren war ich nicht mehr da …«
    Natürlich folgte darauf sofort eine Antwort. Es war eine Antwort, die es leichtmachte, die Stimmung des Gesprächs, das Spielerische, fortzusetzen.
    »Nun hast du dich aber danebenbenommen! … Izmir darf nicht so lange vernachlässigt werden …«
    Es gab so viele Orte, Menschen und Werte, die zu vernachlässigen wir nicht vermeiden konnten … Um bestimmter Erwartungen willen hatten wir, meistens ohne es zu merken, Zwänge geschaffen, die uns von so vielen wahren Augenblicken, Berührungen und vom Zusammensein hatten fernhalten, mehr noch, trennen können … Wie konnte unser ›Jetzt‹ uns doch so fremd bleiben in Zeiten, in denen wir uns von den Fernen verführen ließen … Lag auch Izmir irgendwo auf diesem Weg? … Meine Erinnerungen in diesem Moment ließen mich diese Frage stellen. Schließlich hatte diese Hafenstadt immer einen ganz besonderen Platz in meinem Leben gehabt. Auch wenn das vor Jahren gewesen war … Das war auch verständlich. Mein erster Ausflug von Istanbul fort hatte mich dorthin geführt. Wahrscheinlich habe ich jene Reise deshalb nie vergessen. Manche Bilder lagen tief unten in meinem Gedächtnis, doch sie waren immer zu spüren. Ich wußte, ich konnte Şeli durch meine Worte nicht vermitteln, was ich fühlte. Doch ich sagte sie trotzdem. Ein wenig sagte ich sie auch für mich selbst. Wie wir es in vielen Gesprächen getan hatten …
    »Du hast recht … Izmir ist eine ganz besondere Stadt, eine ganz, ganz besondere Stadt … Wo wohnst du denn? …«
    »Natürlich in Alsancak! …«
    Alsancak ist für mich die schönste Wohngegend in Izmir, ja, Izmir bedeutet für mich vor allem Alsancak. Doch ich wußte, für Juden hatten dieser Satz und das ›natürlich‹ in dem Satz ebenfalls eine Bedeutung. Ich konnte nicht anders, als zu frotzeln:
    »Also im Getto …«
    Sie lachte leicht. Die Worte waren angekommen. Natürlich gab es darauf eine Entgegnung.
    »Selim ist von unserem Essen begeistert … Und ich schwör dir, er kennt die Feiertage sogar besser als ich, wann sie sind und was man an welchem Feiertag tut …«
    Auch ich lachte etwas. Vielmehr ich versuchte zu lachen. Immerhin war jetzt ich an der Reihe, ihre Bemerkung nicht unkommentiert zu lassen … Bis zu diesem Telefongespräch hatte ich über sie nur erfahren können, daß sie in Tel Aviv mit einem Juden aus Izmir eine sehr schlimme Ehe geführt hatte, und daß sie dann mit dem besten Freund ihres Mannes, der viele Male nach Israel zu Besuch gekommen war, nach Izmir geflohen war und ihn geheiratet hatte. Çela hatte diese Geschichte so erzählt, als sei sie darüber ein wenig befremdet. Das Befremden beruhte zweifellos darauf, daß einerseits der Entschluß, die Ehe durch die Flucht mit einem engen Freund zu beenden, ethisch fragwürdig war, und andererseits der Erwählte noch dazu kein Jude war, auch wenn sie das nicht sagte. Für mich hingegen hatten diese Details keinerlei Bedeutung. Ich liebte diesen Mut und hatte große Hochachtung vor diesem Schritt, weil ich sah, wie schwierig dieser Kampf gewesen sein mußte. Darüber konnte ich mich nicht austauschen mit meiner Frau, die allein glücklich war in der Bindung an gewisse Werte. Davon sagte ich aber nichts. Wieder einmal verbarg ich meine Gefühle. Ich hatte ja gelernt zu schweigen, wenn es sein mußte … Doch ich hatte einen Entschluß gefaßt. Ich würde meine Gefühle zu gegebener Zeit der Heldin dieser Geschichte mitteilen. Um ihr, selbst wenn es auch erst nach Jahren sein sollte, zu zeigen, wie bedeutsam ich ihren Kampf um Individualität fand … Sicher waren ihr aber schon früher Menschen begegnet, die wie Çela dachten. Vielleicht hatten gewisse Urteile ihr Leben tief beeinflußt … Wenn sie an dieser Stelle des Gesprächs ihren Ehemann noch

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