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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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unauslöschlichen Erinnerung in meiner Geschichte zu kommen … Ein Geschäftsfreund meines Vaters wohnte dort, und wir waren hingegangen, um einen Abendtee zu trinken. Der Prunk unseres Hotels verblaßte gegenüber dieser Pracht. Als hätte jedes Detail noch einen anderen Schick, einen anderen Glanz. Wie denn auch nicht … In diesem Hotel wohnten ja auch die Sänger, die im Messepark auftraten. Gäste wie die Sängerin Gönül Yazar waren beinahe legendär. Viele beklagten sich über ihre Launen, ihre Trunkenheit, ihr loses Mundwerk, doch jeder gab zu, daß sie eine wunderschöne Frau war, die jeden Mann um den Schlaf bringen konnte. Die andere Legende war Zeki Müren. Zeki Müren, dessen Fans sich genierten, sosehr sie ihn auch verehrten … Zeki Müren, der alle dazu brachte, ihn samt seinen Schrägheiten zu akzeptieren … Daß all diese Berühmtheiten in dem Hotel wohnten, bedeutete für die anderen Gäste eine Ehre. Es gab sowieso kein schickeres Hotel, in dem sie hätten absteigen können. Das Efes-Hotel wahrte viele Jahre lang diese Vorrangstellung. So daß es fast zu einem der Symbole der Stadt wurde …
    Nachdem ich an jenem Abend dieses schicke Hotel gesehen hatte, war ich sehr traurig, daß wir nicht dort wohnten. Ich wollte auch dort sein. Aber mein Vater war niemand, der in so einem teuren Hotel abstieg. Ich wußte, er hatte Geld. Das war nicht das Problem. Wenn er gewollt hätte, so hätte er dort leicht ein Zimmer für uns mieten können. Doch er war ein alter Kaufmann und ein guter Jude, der den Wert des Geldes sehr wohl kannte. Schließlich schlief man in jedem Zimmer auf die gleiche Weise. Zudem schaute das Zimmer, in dem wir wohnten, auf den Kordon hinaus, ja, sogar aufs Meer. Das Leben hatte ihn dazu erzogen, triftige Gründe zu finden, um sich selbst und seine Umgebung zu überzeugen. Doch ich will ihm nicht unrecht tun, er hatte trotz seiner Einstellung gleichzeitig so viel Lebensart, nicht in einem Hotel im Stadtteil Basmane zu wohnen. Eines Abends fuhren wir, natürlich mit dem Bus, durch diese Gegend und sahen ein Hotel ›Kabadayı‹, was soviel wie Kraftmeier, Draufgänger, Großmaul bedeutet – und mußten sehr lachen. Vor Lachen hätte ich mir fast in die Hose gemacht. Da Vater wohl meine Unzufriedenheit bemerkt hatte, daß wir nicht im Efes-Hotel wohnten, sagte er wie nebenbei, indem er auf jenes Hotel zeigte, wir müßten für unsere Lage dankbar sein und den Wert dessen, was wir hatten, zu schätzen wissen, und nutzte somit die Chance des heiteren Augenblicks. Die Geschichte hatte ihn auch in dieser Hinsicht genügend abgebrüht, um es mal mit dieser wohlbekannten Wendung auszudrücken. Das Wissen, das er mir weiterzugeben versuchte, kam in einer seit vielen Jahren gefilterten Form. Ich erhielt eine neue Lektion über das Leben. Ich gab keine Antwort. An den Tatsachen hätte sich sowieso nichts geändert. Er war ja überzeugt von der Richtigkeit seiner Ansichten und davon, daß er das Leben genügend durchschaut hatte … Interessant war, daß er immer indirekt, andeutungsweise ermahnte. Das war einer der Grundsätze meiner Erziehung …
    An jenem Abend wünschte ich mir im Hotel für die Zukunft zwei Dinge und gab mir zwei Versprechen. Das erste war, ich würde eines Tages im Efes-Hotel absteigen. Vielleicht mußte ich ein wenig Geduld haben, doch diesen Wunsch würde ich ganz sicher verwirklichen. Das zweite war, daß ich in dieser Stadt eine Liebe erleben wollte, wenn auch ein solcher Traum in meinem damaligen Alter ein wenig seltsam erscheinen mag. Heutzutage kann ich diese Träume besser verstehen und eingestehen. Ich sehnte mich nach Wärme und Liebe … Ich wußte nicht, daß ich mich weniger nach Liebe als nach Zärtlichkeit sehnte … Vielleicht war ich hinter etwas Unmöglichem her oder jagte etwas Falschem nach. Doch dieses in sich Falsche würde trotz aller zu erwartenden Enttäuschungen erlebenswert sein. Man band sich ja auch durch die Irrtümer, die aus Illusionen entstehen, enger ans Leben … Mein Wunsch wurde nicht erfüllt. Ich habe an jener Meeresküste jene Liebe nicht erleben können. Eigentlich habe ich nirgends und nie eine solche Liebe erlebt. Vielleicht gab es eine solche Liebe gar nicht, würde es nie geben. So eine Liebe … Als könnte man so eine Liebe nur in Romanen erleben … Immerhin aber war es möglich, daß auch Erzählungen sich begegneten, so wie Ströme zusammenflossen, die an verschiedenen Orten entstanden, verschiedenen Quellen entsprangen.

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