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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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Hinweis darauf geben, wo sie im Leben stand. Ich mußte allerdings zugeben, ohne sie zu sehen, konnte ich diese Frage nicht beantworten. Ich konnte dieser Frau, die ich einstmals mit großer Offenheit und Schutzlosigkeit erlebt hatte, leicht Nähe und Freundschaft zutrauen. Jahre waren vergangen, doch diese Jahre waren nicht nur lang, sondern gleichzeitig sehr schmerzlich gewesen … Diese Jahre bedeuteten auch andere Menschen, Brüche, Präferenzen. Dadurch wurden Menschen, die wir liebten, womöglich bis zur Unkenntlichkeit verändert. Vor allem wenn man sich daran erinnerte, welche Bedingungen das Leben, unser Leben, derart vertieft hatten … Menschen konnten sich ändern, Haltungen gegenüber dem Leben konnten sich ändern und sogar der Blick auf die uns am nächsten Stehenden. Diese Möglichkeit weckte in mir einen neuen Zweifel. Deswegen drückte sich in meiner Stimme eine tiefe Unsicherheit aus.
    »Ich habe ein Projekt … Es hat mit uns zu tun … Also, mit unserer Schauspieltruppe.«
    Ich wartete kurz auf eine Reaktion in der Art wie: ›Nun spann einen doch nicht so auf die Folter, red nicht drum rum, spuck's aus!‹ … Irgendwie fand ich diese Worte für sie passend. Doch sie antwortete nicht. Am anderen Ende des Telefons war nur Schweigen. Tiefes Schweigen … Ein Schweigen, das vielleicht aus Besorgnis kam … Ich versuchte mir vorzustellen, was meine Worte in dem Moment in ihr auslösten. Wir blieben noch eine kleine Weile stumm. Ich mußte weiterreden, etwas erklären. Soweit ich das konnte.
    »Ich habe mich entschlossen, die ›Truppe‹ neu zu gründen, uns alle zusammenzubringen. Ich möchte, daß wir das ›Spiel‹ wieder auf die Bühne bringen.«
    Dieses Mal ließ sie mich nicht warten. Ihre Stimme zitterte leicht, und sicher konnte dieses Zittern vielerlei bedeuten, doch fiel es mir ehrlich gesagt nicht schwer, aus ihrer Antwort zu entnehmen, daß sie sich freute.
    »Wunderbar! … Das paßt mir, toll! …«
    Auch ich freute mich, daß sie so schnell zugestimmt hatte. Als hätten die Jahre sie unkomplizierter gemacht. Doch ich wollte sichergehen.
    »Also du sagst, ich bin bereit, mein Leben hindert mich nicht …«
    Die selbstsichere Frau kehrte zurück.
    »Warum sollte es mich hindern? … Mir gefällt die Sache! …«
    Da hielt ich inne. Ich fand keine Antwort. Sie ging über mein Schweigen hinweg. Das bedeutete, sie hatte nicht die Absicht, sich mit dem Gesagten und der Stelle, an der ich aufgehört hatte, zu begnügen.
    »Dann komm doch einfach her! … Wir setzen uns zusammen und reden … Du bleibst ein paar Tage bei uns. Selim ist ein sehr guter Mensch. Er kennt dich. Er kennt euch alle … Ich habe ihm viel von euch erzählt.«
    Bis zu welchem Punkt, wie hatte sie erzählt? … Das, was passiert war, was wirklich passiert war, oder das, was man erzählen konnte oder erzählen mußte? … Hatte sie einen verständnisvollen Mann geheiratet, der sie wirklich liebte, oder wollte sie nur zeigen, daß sie mit solch einem Mann verheiratet war? … Diese Fragen mußte man so stehenlassen und konnte nur hoffen, sie würden sich mit der Zeit beantworten lassen. Der Gedanke, nach Izmir zu fahren und sie in ihrem Lebensumfeld zu sehen, erschien mir sehr verlockend. Zwar war es mir ein wenig unangenehm, daß sie wieder in die Rolle der selbstbewußten Frau geschlüpft war und mich zu sich einlud, statt vorzuschlagen, nach Istanbul zu kommen, doch wenn ich ehrlich sein sollte, überwog die Begeisterung, einen Vorwand zu haben, nach langer Zeit die Stadt wiederzusehen, die mich tief beeindruckt hatte. Und zugleich war ich begeistert, mit der Erzählung wesentlich voranzukommen. Doch abgesehen davon konnte ich mich ein weiteres Mal irren. Um mein Unbehagen zu kaschieren, brauchte ich einen kleinen Abstand. Es war fast eine Art Selbstverteidigung.
    »Einverstanden … Bloß, zu dir kann ich nicht kommen. Ich werde in einem Hotel wohnen, ich ruf dich an, wir sehen uns dann …«
    Sie drängte nicht lange. Die Jahre hatten sie natürlich zu einem weniger unnachgiebigen Menschen gemacht. Was Verluste Menschen nicht alles gewinnen ließen …
    »Tu, was du willst … Aber komm …«
    Ich konnte die Herzlichkeit in ihrer Stimme spüren. Diese Einladung war noch glaubhafter. Es war für mich überhaupt nicht schwer, mich in ein Flugzeug zu setzen und loszufliegen. Ich versuchte mein Gefühl auszudrücken, ohne daß die plötzlich entstandene Natürlichkeit verlorenging.
    »Vielleicht komme ich schon in ein

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