Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
darauf hinauslief, einerseits die Enttäuschung und andererseits die Hoffnung unberührt zu erhalten, und trotz allem lächeln zu können … Es gab so vieles, was die ›Verteidigungslinie‹ gelehrt hatte …
Davon abgesehen fühlte ich mich bereit, an der Stelle, die ich nach Jahren erreicht, an der ich mich zu finden versucht hatte, auf andere Geschichten zuzugehen. Mir war, als gäbe mir die Telefonnummer von Şeli einen Hinweis auf eine neue Reise. Voller Unsicherheit machte mich auf, indem ich viele Eventualitäten in Kauf nahm. So wie ich meine Erlebnisse mit Necmi und Şebnem zu teilen versucht hatte, so nun mit Yorgos. Schließlich war er, wo immer er sich aufhielt, ebenfalls einer der Helden des ›Spiels‹ und marschierte mit seinen eigenen Schritten mit uns gemeinsam …
Ich rief zuerst bei Şeli zu Hause an. Ich war im Laden. Es begann wieder ein Tag. Ein neuer Tag, von dem ich nicht wußte, wie er sich entwickeln würde … Das Telefon wurde nicht abgenommen. Ich hatte noch eine andere Nummer. Sie war mir als ihre geschäftliche Nummer mitgeteilt worden und gab mir auf diese Weise einen weiteren Anhaltspunkt in bezug auf ihr Leben. Dieses Mal antwortete eine junge Frau. Genauer gesagt machte die Stimme mir diesen Eindruck. Ich sagte, wen ich sprechen wollte, und wurde gefragt, wer ich sei. Deswegen vermutete ich, ihre Arbeit war etwas Bedeutendes. Sie war inzwischen womöglich eine wichtige Person … Wo hatte ich angerufen? … Natürlich sollte ich auch die Antwort auf diese Frage in gebührender Weise bekommen. Ich mußte kurz warten. Dann hörte ich sie persönlich mit unerwartet vertraulichem Tonfall.
»Ja wo steckst du denn?«
Ehrlich gesagt befremdeten mich diese Frage und das Verhalten etwas. Spielte wohl diese Frau, deren Stimme ich hörte, nicht nur Vertraulichkeit, sondern auch eine sehr selbstbewußte Frau? … Ich weiß nicht, wie ich darauf kam, daß sie spielte. Das junge Mädchen aus meiner weit entfernten Vergangenheit veranlaßte mich plötzlich, diese Frage zu stellen. Unwillkürlich hatte ich ein ähnliches Gefühl wie bei dem Telefongespräch mit Yorgos. Das Bild und die Stimme kamen von jeweils anderen Orten. Der Unterschied resultierte aus einer seltsamen Ferne, Fremdheit, die ich ganz plötzlich als unangenehm empfand. Zweifellos konnte aber die Selbstsicherheit echt sein. Woher sollte ich wissen, wie das Leben sie verändert hatte? … Das Problem konnte auch daher rühren, daß ich diese Art von allzu herzlichen und vertraulichen Gesprächen nicht leiden konnte. Oder weil sie nicht übermäßig erstaunt über meinen Anruf gewesen war und ich deshalb das Gefühl hatte, nicht ernst genommen zu werden. Als wären nicht Jahrzehnte vergangen, sondern nur ein paar Tage, und sie beklagte sich, daß ich trotz meines Versprechens nicht angerufen hätte. Ich bemühte mich trotzdem, mein Gefühl nicht deutlich werden zu lassen. Ich versuchte, mein Unbehagen zu übertönen, indem ich auf das Spiel einging.
»Ich bin in Istanbul … Ich wollte mal eben fragen, wie es dir geht. Ich hatte nichts Besseres zu tun, und so wollte ich mal in den alten Tagebüchern blättern …«
Sie lachte und gab mit der gleichen ›Vertraulichkeit‹ Antwort.
»Gut gemacht … Na, was treibst du denn so? …«
Was ich so trieb? … Ich hätte wieder eine kurze Zusammenfassung meines Lebens geben können. Doch der Ton des Gesprächs zog mich woandershin. Wir hatten damit begonnen und würden bis zu dem Punkt gehen, wohin dieser Ton uns führte.
»Laß mich mal so anfangen … Ich habe mich zu einem Menschen entwickelt, der sein verdientes Geld weniger ins Geschäft als in seine Hobbys investiert. Fotografieren reichte mir nicht, eine gute Musiksammlung reichte mir nicht, in letzter Zeit habe ich mich auch noch dafür begeistert, ein gutes Filmarchiv anzulegen. Ich wollte Gitarre spielen, aber das ist mir nicht gelungen. Jetzt verwenden wir diese Gitarre als Dekoration. Wenn du willst, erkläre ich dir auch, warum ich ›wir‹ gesagt habe. Ich habe inzwischen geheiratet und mir zwei Kinder zugelegt. Noch habe ich mich nicht entscheiden können, ob ich ein guter Vater bin. Aber ich habe eine schöne Wohnung, ein schönes Auto. Wenn du ungebunden bist, kann ich mich von meiner Frau scheiden lassen und dich heiraten … Können wir uns sehen? …«
Sie lachte wieder … Die Stimme war dieselbe. Allzu vertraulich, allzu fröhlich, allzu selbstbewußt …
»Gut, gut … Du hast wirklich viel erreicht
Weitere Kostenlose Bücher