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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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Geschäftsfrau geworden, die mit ihren Freunden an schicken Orten angenehme Zeiten verbrachte. Ich konnte auch diese Frau gerne haben. Die Geschichte, die uns verband, hatte eine solche Tiefe, daß sie uns oft daran erinnerte, daß das Erlebte, Gesehene auch andere Aspekte haben konnte …
    Sie beispielsweise dabei zu beobachten, wie sie, ganz Geschäftsfrau, diese Rechnung zahlte, war vor dem Hintergrund einer solchen Geschichte einerseits anrührend, andererseits auch ein bißchen komisch. Ich achtete möglichst auf die Details. Welche nötigen Angaben sie bezüglich der Kreditkarte, der Rechnung machte … Also ging die Rechnung auf Geschäftsspesen … Sobald sie die notwendigen Formalitäten beendet hatte, erhob sie sich, nahm ihre Tasche und sagte, sie werde mich kurz allein lassen. Es war nicht allzu schwer zu erraten, wohin sie ging. Nach einigen Minuten kehrte sie zurück und sagte, wir könnten aufbrechen. Ich hatte mich nicht in meiner Vermutung geirrt. Sie hatte auf der Toilette auch ihr Make-up erneuert. Ich wollte ihr zeigen, daß ich es bemerkt hatte.
    »Diese Schönheit bringt mich heute noch um! …«
    Sie hatte verstanden, was ich meinte, und schaute in dem Augenblick leicht verlegen drein. Diese Verlegenheit mochte ich sehr. Sie versuchte, ihre Verlegenheit mit verführerischen Blicken zu kaschieren. Ich konnte noch besser sehen, was für wen und wie gespielt wurde. Als sie vor dem Spiegel ihr Make-up erneuert hatte, was hatte sie da gedacht, an wen hatte sie gedacht? … Ich gebot mir Einhalt. Manchmal ermüdete ich mich unnötig mit meinen eigenen Fragen. Es war mir klar, daß das Leben sie zu einer Frau gemacht hatte, die im Jetzt lebte, für die die Gegenwart wichtig war. Vielleicht hatte sie sich nur vorgestellt, was wir an jenem Tag machen wollten. Das würden wir ja sehen …
    Dann verließen wir das Restaurant. Wir gingen langsam wieder denselben Weg zurück. Dieses Mal hakte ich mich bei ihr ein. Eine Weile sprachen wir gar nichts. Wir gingen schweigend dahin. Ich konnte nicht wissen, was sie dachte, doch ich erinnerte mich plötzlich an Yorgos und an jene stürmischen Tage, die so weit hinter uns lagen. In der Erinnerung erschien mir dies nicht wie ein Teil unseres Lebens, sondern wie ein Film, den ich mir irgendwann angeschaut hatte … Nach all dem, was ich gehört hatte, war diese Zeit noch weiter in die Ferne gerückt … Manche Schmerzen wurden auf diese Weise überwunden. Andere Schmerzen unterdrückten für unerträglich gehaltene Schmerzen, entfernten sie gewissermaßen aus unserem Inneren, begruben sie irgendwo in unserem Leben. Denn jene Wunden konnten nur durch Schmerzen geheilt werden … Nur durch Schmerzen … Damit wir uns auf dem Weg unserer Geschichte nicht verirrten … Damit wir den Wert der erlebten Augenblicke besser erkannten … Sah auch sie den gleichen Film manchmal von so einem Punkt aus? … In einem Traum, an einem einsamen Abend, wenn beim Anhören eines Chansons die Erinnerung plötzlich an ihre Tür klopfte? … Manche Erinnerungen kehren nämlich zurück, ob man will oder nicht … Die Erinnerungen kehren zurück … Wo hatte ich diesen Satz zum ersten Mal gelesen oder gehört? …
    Sie schritt mit verschränkten Armen, den Blick gesenkt, langsam neben mir her … Rein äußerlich hatte sie sich in einen sicheren Hafen zurückgezogen, nachdem sie viele Stürme überstanden und einige Schäden abbekommen hatte. Aber was war mit dem, was man nicht sah? … Mit dem, was sie nicht zeigte, worüber sie nicht sprach, was sie nicht mitteilte? … Im Lauf der Zeit fuhren wir vielleicht auf andere, gefährliche Wasser zu. Doch ich glaubte inzwischen, daß das, was wir durchgemacht hatten, uns auch dafür die Kraft geben würde … Wir hatten noch viel zu besprechen, ein Wort gab sowieso das andere. Ich konnte ihr beispielsweise erst einmal die Geschichten unserer Freunde erzählen, die ich vor ihr gefunden hatte. Ich konnte von mir erzählen. Vielleicht würde ich ebenfalls nur das erzählen, was ich erzählen konnte. Ich war überzeugt, sie wartete darauf, diese Erzählungen zu hören, ich wollte es glauben. Der richtige Augenblick war gekommen. Sowohl um einen weiteren Schritt zu tun als auch um das Schweigen zu brechen … Ich begann mit dem scheinbar Leichtesten.
    »Ich habe auch Necmi gefunden … Du glaubst nicht, was er mitgemacht hat …«
    Wir gingen durch eine baumbestandene Straße links vom Efes-Hotel. Sie merkte, wie ich traurig wurde. Sie strich mir

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