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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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mein Flugzeug ginge am nächsten Abend um acht. Wir hatten wirklich Zeit, und die Tür hatten wir neu geöffnet. Zudem konnte der Istanbul betreffende Teil der Erzählung nun wohl auch ein bißchen warten. Ich fühlte in dem Moment, daß ich ihr eigentlich nur recht geben konnte. Obwohl ich noch nicht wußte, wie tief wir hinuntersteigen konnten … Wir kamen nach ganz kurzer Zeit im Laden an und fanden bis dahin keine Gelegenheit, viel mehr zu reden.
    Drinnen empfing uns ein nicht sehr großes, aber wohlproportioniertes, junges Mädchen mit gebräunter Haut und langen, schwarzen Haaren. Ihr Make-up war leicht übertrieben und ihr Rock äußerst kurz. Sie war quirlig. Ich wurde sofort vorgestellt, und zwar wieder als alter, sehr wertgeschätzter Freund … Das junge Mädchen lächelte höchst liebenswürdig. Ihre Zähne waren ein wenig schief. Deswegen hätte sie trotz ihres schönen Gesichts zwar nicht für Zahnpastareklame getaugt, doch ihre Anziehungskraft ergab sich wohl auch aus dieser Unregelmäßigkeit. Vielleicht weil sie damit ganz selbstverständlich umging … Vielmehr den Mut, ja sogar die Unbefangenheit hatte, ganz offen damit umzugehen … Ich gab ihr die Hand. Sie gleichfalls, wobei sie kräftig drückte. Sie sah jung aus und hätte im Alter meiner Tochter sein können. Doch konnte ich nicht umhin, sie als Frau anzusehen. Ich hatte keinen Zweifel, daß sie bemerkt hatte, wie sie auf mich wirkte. Ich hatte sowieso nicht die Absicht, meine Gefühle zu verstecken. Wie seltsam war doch das, was uns widerfuhr. Noch eben war ich an einem ganz anderen Punkt gewesen und hatte etwas ganz anderes gefühlt. Wie konnte der Lauf des Lebens sich plötzlich derart verändern und den Menschen in völlig unerwartete Gefühle stürzen. Freilich konnte ich nicht erwarten, daß Şeli nicht bemerkt hatte, was ich fühlte. Sie reagierte sofort. Natürlich war ich das Ziel, der so wertgeschätzte alte Freund …
    »Na, nun aber mal langsam! … Berfin ist verlobt. Sie heiratet in Kürze …«
    Sie hatte die Absicht, mich zu blamieren. Doch wenn es ein Spiel war, konnte ich das Spiel fortsetzen. Ich machte mich sowohl über mein Gefühl als auch über die beiden lustig. Das war der beste Weg, mich von der Peinlichkeit des Ertapptseins zu befreien.
    »Sag bloß! … Das tut mir aber wirklich leid. Daß ich auch immer zu spät kommen muß …«
    Ich hielt die Hand von Berfin, dem jungen Mädchen, dessen Namen ich eben erst erfahren hatte, weiter fest. Sie verstand, daß ich die Herzlichkeit und Selbstsicherheit in ihrem Lachen gebührend bemerkt hatte. Ich schaute sie aufgrund meines höheren Alters mit einem Überlegenheitsgefühl an, dessen Unumstößlichkeit durchaus fraglich war. Wie gefährdet der von mir gewählte Standpunkt war, zeigte mir auch ihre Antwort, die sie mit ihrem ganzen Charme gab, ohne ihre Augen von den meinen abzuwenden. Ihre Stimme gewann bei dieser Herausforderung unerwartet den Ton von Weichheit und Scherzhaftigkeit hinzu.
    »Vielleicht kommen auch andere zu spät, woher wollen Sie das wissen? …«
    Soviel hätte ich natürlich nicht erwartet. Ich lächelte weiter, doch mein Herzschlag beschleunigte sich ziemlich. Wieweit spiegelten sich meine Gefühle in meinem Gesicht? … Das wusste ich nicht. Deswegen entschloß ich mich, still zu sein und nur zu lächeln, leicht die Augenbrauen hochzuziehen und mich nicht weiter zu exponieren. Wer weiß, wohin sich das Gespräch entwickelt hätte, wenn Şeli nicht eingegriffen hätte. Ihre Hilfe kam gerade zur rechten Zeit.
    »So sind die Mädchen aus Izmir, mein Junge! … Sie bringen einen Mann um den Verstand, du weißt nicht, wie dir geschieht. Los, liebe Berfin, laß diese erfahrenen Männer in Frieden und mach uns zwei Kaffee. Ich komme mit. Wir tun den Kuchen auf Teller. Damit unser Gast sieht, was für eine Konditorei Reyhan ist …«
    Sie schaute uns beide lächelnd an, als wollte sie sagen, daß sie hier die Chefin sei. Auch Berfin lächelte, als sähe sie in Şeli eine große Schwester. Sie ging ganz nahe an mir vorbei, als sie sich entfernte. Ich roch ihren Duft. Es war ein sehr verführerischer Duft nach Gewürzen, der den Eindruck noch verstärkte, den sie auf mich gemacht hatte. Es schien, als wollte sie mich diesen Duft riechen lassen. Als sie in den hinteren Teil des Ladens, der vermutlich als kleine Küche genutzt wurde, verschwanden, flüsterte ich Şeli, die mich frivol anschaute, »Heiß, heiß!« ins Ohr, um ihr meine Gefühle für Berfin

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