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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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über den Rücken und hakte sich wieder bei mir ein. Sie benahm sich wirklich wie eine gute Freundin. Sie gehörte zu denen, die am besten wußten, wieviel ich mit Necmi in jenen Tagen unserer Freundschaft, unserer Nähe geteilt hatte. Ab und zu hatten sie sich gestritten, über belanglose Themen diskutiert, sich alles mögliche an den Kopf geworfen, und doch hatte zwischen ihnen eine Liebe und Verbundenheit geherrscht, wie sie für die ›Schauspieltruppe‹ typisch war. Necmi war es auch, der sie davor bewahrt hatte, in der letzten Klasse noch wegen des Fachs Literatur sitzenzubleiben. Er hatte für sie die Halbjahresarbeit angefertigt und sich in der letzten Prüfung neben sie gesetzt, um sie abschreiben zu lassen. Obwohl ihm klar war, daß Eşref Bey das bemerkte … Diese Hilfe hatte sie von ihrem Geliebten nicht bekommen. Sie hatten ja eine leidenschaftliche Beziehung, und wie das bei jeder leidenschaftlichen Liebe so ist, hatten sie sich wieder einmal gestritten und sich in jenen Tagen zu trennen beschlossen. Auch wenn sie natürlich wieder zusammenfinden würden … Was hätte sie wohl ohne Necmi getan, den sie oft Nervensäge und naseweiser Trottel nannte, wer weiß, was dann passiert wäre. … Ich bin mir sicher, sie hatte das nicht vergessen. Zweifellos hatte sie weder jenen Tag vergessen noch andere Tage. Doch sie reagierte auf das Gesagte lediglich mit jener Freundschaftsgeste. Sie sagte kein einziges Wort. Wollte sie sich damit begnügen? … Wollte sie ihre Bindungen an die Vergangenheit völlig abbrechen? … Dabei hatte sie den Gedanken, das ›Spiel‹ erneut aufzuführen, doch begeistert aufgenommen. Ich war erstaunt und auch ein wenig enttäuscht. Dennoch vermied ich es, sofort zu reagieren. Es war besser zu warten, noch einmal zu warten. Ich wollte sie nicht verunsichern. Wir schwiegen und gingen. Dann gelangten wir zu einer schicken Konditorei. Ihre Blicke und Worte drückten Stolz aus, mich mit einem weiteren Ort in der Stadt bekannt zu machen.
    »Von den Torten in dieser Konditorei kann man nie genug bekommen. Laß uns eine kleine Torte kaufen. Wir gehen in meinen Laden und essen sie dort. Magst du lieber Schokolade oder Obst?«
    Einen Moment lang wußte ich nicht, was ich sagen sollte. Ich stand immer noch unter dem Eindruck, daß ich ihr Verhalten nicht zu deuten wußte. Ohne lange nachzudenken, sagte ich, was mir zuerst einfiel.
    »Egal … Schokolade …«
    Wir gingen hinein bis vor die Kuchenvitrine, besser gesagt, ich wurde hingeführt. Die Ausstattung, die Präsentation, die Torten, all das zeigte, daß wir in einer guten Konditorei waren. Ebenso war zu sehen, daß sie auch dort wohlbekannt war. Die selbstbewußte, fröhliche, starke Frau war zurückgekehrt. Diese Frau war weit entfernt von der, die gelernt hatte, mit ihren Schwächen zu leben. Dabei war jene Frau noch vor einigen Minuten an meiner Seite gewesen. Jene Frau hatte mir eine Geschichte erzählt … Sie war jedoch in der Rolle der lebensfrohen, durchsetzungsfähigen Frau sehr erfolgreich. Auch diese Frau stand ihr sehr gut. So sehr, daß man sich sogar fragen konnte, welche von beiden die echte war. Vielleicht beide, vielleicht keine oder eine andere, die ich nicht sah und die sie noch nicht gezeigt hatte. Ich beobachtete sie, wie sie mit den Verkäufern sprach, wie sie sich über die Torten informierte und zuletzt eine auswählte, und wie sie vor allem mich vorstellte als geschätzten Freund, wobei ich zu lächeln versuchte. Dabei hatte sie mir, anders als sie es nun darstellte, in ihrer Reaktion auf meine Bemerkung über Necmi das Gefühl vermittelt, mich nicht ernst zu nehmen. Wir gingen hinaus. Ich schwieg weiter. Ich mußte ihr meine Verdrossenheit ziemlich deutlich gezeigt haben, denn sie nahm meinen Arm und machte mit aufreizender, aber zugleich zärtlicher Stimme klar, daß sie sowohl ihren Standpunkt und zugleich mich sehr wohl sah und die Verbindungen herzustellen wußte.
    »Bist du mir jetzt böse? … Du bist doch ein rechter Kindskopf! Freilich bin ich gespannt auf das, was du erzählen wirst … Laß uns erst mal in den Laden gehen … Und vielleicht habe ich ja auch noch etwas anderes zu erzählen. Weißt du was? Der Abend gehört uns, die Nacht auch … Und morgen ist auch noch ein Tag … Um wieviel Uhr fliegst du?«
    Es wurde mir langsam unbehaglich, wie sie so über mich bestimmte. Doch war ich etwas erleichtert, daß sie nicht gar so uninteressiert war gegenüber dem, was ich mitteilen wollte. Ich sagte,

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