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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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immer eine große Auswahl haben, deshalb mußte sie ständig investieren … Wir redeten … Mit anderen Worten, wir bemühten uns redlich um ein möglichst unverfängliches Gespräch. Ich merkte, daß wir uns dessen beide bewußt waren. Wir warteten darauf, wirklich allein zu sein, um noch mehr das zu besprechen, was notwendig war, was wir von uns selbst und voneinander erwarteten. Teilweise war ich mit meinen Gedanken auch bei Berfin. In diesen Momenten konnte ich sowieso nicht viel mehr tun … Wie hatte ich mich doch innerhalb kurzer Zeit in ihre Gefangenschaft begeben … Dann kam sie zurück. Mit aufgefrischtem Make-up … Sie kam herbei, drückte mir wieder in der gleichen Weise fest die Hand und versäumte nicht zu erklären, wie froh sie über unsere Bekanntschaft sei, wobei sie lächelte und ihre riesigen schwarzen Augen nicht von meinen löste. Ich stand auf, und dieses Mal drückte auch ich ihr kräftig die Hand. Ich konnte nicht mehr an mich halten. Ich küßte sie auf beide Wangen und sagte, auch ich freue mich über die Bekanntschaft. Sie lächelte etwas stärker und begnügte sich dieses Mal damit, etwas verlegen nur ihre Wangen hinzuhalten. Das war alles … Ich hatte sowohl gesehen, was ich bekommen konnte, als auch verstanden, was sie geben konnte … Ich begriff, sie hatte in jungen Jahren schon viele Spielchen gelernt, mit denen sie ihre Umgebung bezaubern konnte. Wahrscheinlich machte sie auch ihre Arbeit gut und war zuverlässig … Wenn Şeli ihr einfach so den Laden überließ … Der Parfumduft wirkte noch weiter auf mich ein. Sie sagte, sie erwarte mich jederzeit in Izmir, ich sagte, ich würde von nun an öfter kommen. Nach außen hin wurde Gastfreundschaft demonstriert. Vielleicht war das auch wirklich so. Doch ich war von jenem Spiel der Verführung hingerissen. Sie antwortete auf meine Worte wieder mit Lächeln und einem bedeutungsvollen Blickwechsel mit meiner Freundin, die sie, wie ich in dem Moment noch besser verstand, als ältere Schwester ansah, deren leicht spöttische, aber äußerst freundschaftliche Blicke ich ständig auf mir spürte, verabschiedete sich und verließ den Laden. Zurück blieb für wenige Momente nur ihr Duft … Und auch ihr Bild, von dem ich nicht wußte, wohin es mich mit der Zeit führen oder wie es sich in mir weiterentwickeln würde …
    Ich war nun mit Şeli allein und wäre geplatzt, wenn ich über das Mädchen nicht ein, zwei Worte gesagt hätte. Es war unmöglich, zu verbergen, was ich gesehen und erkannt hatte.
    »Sie hat eine wahnsinnige Anziehungskraft … Wenn du mich fragst, das ist kein Mädchen, das heiraten will … Sie ist so jung, so voller Leben …«
    Ich konnte nicht wissen, wie sehr meine Worte meine Gefühle offenbarten. Aber ich erwartete Unterstützung von ihr. Ihre Antwort jedoch verwirrte mich nicht bloß, sondern zog mich in eine völlig andere Lebensgeschichte hinein.
    »Wenn ich dir sage, aus welchem Umkreis ihre Familie kommt, in welcher Umgebung sie lebt – das wirst du nicht glauben … Hast du schon mal von den evakuierten Dörfern gehört?…«
    Natürlich wußte ich davon. Das war ein anderer Schmerz unseres Landes, über den nicht viel gesprochen wurde. Ich nickte wortlos. Dieser Beginn allein reichte schon, mich äußerst gespannt zu machen. Ich schwieg. Was mich von dem Gesagten bisher schon stark beeindruckte, war, daß hier nicht nur die Geschichte eines mir bisher unbekannten jungen Mädchens, sondern auch ein anderes Gesicht einer mir vermeintlich sehr gut bekannten Frau erschien, das ich vielleicht nie gesehen hätte, wenn ich diese Geschichte nicht gehört hätte.
    »Berfin ist mit ihrer Familie von solch einem Ort hierhergekommen … Als sie zu mir kam, hatte sie gerade die Grundschule beendet. Was immer das für eine Grundschule gewesen war … Sie war sehr dünn, sehr schmächtig, aber sie hatte strahlende, große Augen, Blicke genau so wie jetzt. Ihre Familie war sehr arm, aber sie sollte eine höhere Schule besuchen. Wie das Leben so spielt. Man nennt es Zufall, aber genau so war es … Die Mutter von Berfin war die Cousine der Frau, die diesen Laden putzte. Ich habe sie kennengelernt, weil meine Putzfrau in einem Sommer für zwei Monate in die Heimat ihres Mannes fahren mußte. Sie empfahl ihre Cousine als Vertretung. Sie sei eine gute Frau, ich könne ihr vertrauen. Sie habe eine Zeitlang mit Mann und Kindern bei ihr gewohnt. Sie erzählte, was ihr passiert war und wie sie in ihrem neuen Leben in Armut

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