Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
eines Schmetterlings … Ob die Blumen wohl immer noch lebten? … Bewahrten wir uns diese Illusion? … Angesichts dessen, was ich sah, versuchte ich einen weiteren Schritt zu tun. Noch einen Schritt … Um zu gehen … In ihr, in mir, in unserer Geschichte, in dem, was wir erlebt hatten, in unserem Jetzt … Meine Stimme zitterte ziemlich, es war die Stimme eines Menschen, der jeden Moment zu weinen anfangen konnte. Ich konnte es nicht ändern. Es tat dermaßen weh, diese Ferne auszuhalten, zu ertragen gezwungen zu sein, wenn doch eine solche Nähe da war …
»Und was ist mit uns, meine liebe Şebnem? … Leben wir denn? … So kümmerlich, so zerstückelt und zerfetzt … So voneinander verbannt …«
Woher kam diese Mattigkeit? … Die Antwort war wieder irgendwo verlorengegangen, es schien, als wollte sie sich verstecken. In diesen Augenblicken hatte ich meine eigene Stimme nicht unter Kontrolle. Jene Augenblicke … Jene Augenblicke waren nämlich die Augenblicke, in denen sie mich mit jenem gefrorenen Lächeln anschaute. Jene Augenblicke … Was waren doch jene Augenblicke so lang … Ich wurde in eine neue Tiefe gezogen. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich versuchte zu lächeln. Ich lächelte, soweit mir das möglich war. Doch ich fand keine Worte. Vielleicht erwartete ich jene Worte nun von ihr. Doch mir gegenüber war nur Schweigen. Ein Schweigen, das seine Stürme wieder einmal in sich behalten wollte … Dann wandte sie sich ihrem Bild zu. Mit dem Pinsel in der Hand schaute sie auf den Weg. Ich versuchte, sie zu begleiten. Indem ich mir erneut klarmachte, daß es zur Liebe gehört, in dieselbe Richtung zu schauen. Dann, in der Hoffnung, in die Finsternis, in die sie sich erneut zurückgezogen hatte, einzutreten oder mich dort vernehmbar zu machen, versuchte ich zu erzählen, was ich erfahren hatte, so wie es mir gerade in den Sinn kam, so als brächte ich Nachrichten vom Geschehen der letzten Tage. Von Şeli, von Izmir, von Yorgos und Niso … Ich sagte, daß die ›Truppe‹ wohl wieder zusammenkommen könnte. Ich erinnere mich nicht, wie lange ich geredet habe, wahrscheinlich fast eine Stunde. Während dieser Zeit schaute sie mich nicht an. Ihre Augen ruhten auf dem Weg auf ihrem Bild. Der Pinsel lag inzwischen auf ihrem Schoß. Es war für mich nicht zu erkennen, was sie fühlte, wie sie das hörte, was ich ihr erzählte.
Plötzlich, während ich weitersprach, geriet sie in Bewegung und begann, rasch die Umgebung des Weges einzufärben, wobei sie mit einem Bild, das noch nicht zu sehen war, geradezu kämpfte, indem sie aufgeregt die Lippen zusammenkniff und ein leises, unbestimmtes Wimmern erzeugte. Es wirkte, als würde sie jederzeit laut losheulen oder einen Schrei ausstoßen. Sie bedeckte die freie Fläche mit einem lieblichen Wiesengrün. Ich mochte diese Farbe ebenfalls sehr gern. Bei diesem Anblick unterbrach ich meine Erzählung, denn ich fühlte mich verpflichtet, einen kurzen Kommentar abzugeben.
»Ein grenzenloses Grün … Jetzt habe ich ein wenig Angst bekommen …«
Ohne sich zu mir umzuwenden, schüttelte sie den Kopf, als wollte sie ausdrücken, daß sie nicht meiner Meinung sei. Sie regte sich auf, ihr Gesicht rötete sich. Sie schien jetzt dem Weinen, jenem Weinen, noch näher zu sein. Dann begann sie auf dieses große Bild, das so langsam Gestalt annahm, in das Grün unproportioniert große Margeriten zu malen. Ihre Augen schwammen in Tränen. Ich sah auch, daß sie lächelte, vielmehr innerlich lachte, zumindest fühlte ich das. Dieses Lächeln war zudem ganz anders als das, was ich vorher gesehen hatte. Ein lebendiges Lächeln, das etwas zu erzählen versuchte, auch wenn dies nicht gelang … Vielleicht weil es aus einem tiefen Schmerz kam … Weil es gespeist wurde aus einem Enthusiasmus, der an so einer Grenze schwer zu ertragen war … Es fiel mir trotzdem schwer, wirklich glaubhafte, echte Worte zu finden. Doch gleichzeitig spürte ich, daß wir angefangen hatten zu kommunizieren, ja, daß auch sie versuchte, zu mir eine Brücke zu schlagen … Mit dem Schmerz einer alten Blutung … Auch wenn die Brücke aussah, als könnte sie jeden Augenblick einstürzen … Sollte ich den Grund dafür, daß ich jene Worte nicht fand, darin suchen, was diese Schritte wiederaufleben ließen, woran sie erinnerten? … Vielleicht war auch das Bild noch nicht fertig. Vielleicht würde ein Detail jene Worte hervorbringen. Ich versuchte, mich einem Fehlenden zu nähern, das ich nicht
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