Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
ausführlich miteinander reden. Dann werden wir es endlich erfahren …«
Meine Worte führten zu einer kleinen Schweigepause. Dann reagierte sie, wie es zu ihr paßte, wodurch meine Neugierde aber noch stärker wurde.
»Wie du willst …«
Dieser kurze Satz konnte vielerlei bedeuten. Ich zog die Sache nicht in die Länge. Vielmehr versuchte ich ein anderes Thema anzuschneiden. Das einfachste war, mich für das Wochenende zu bedanken, das sie mir bereitet hatte. Natürlich wollte ich mich auch bei Selim bedanken. Ich war ja ein wohlerzogener Mensch. Ich hätte ein unvergeßliches Wochenende verlebt. Diese meine Worte entsprangen nicht gewöhnlicher, alltäglicher Höflichkeit. Ich schwankte, ob ich es sagen sollte oder nicht. Zur Unvergeßlichkeit des Wochenendes hatte auch die Glut von Berfin beigetragen. Zu ihr zog mich eine Wollust hin, die ich seit Jahren nicht gefühlt hatte. Eine Wollust, die größer wurde durch einen Verlust, von dem ich spürte, daß er aus einer ganz großen Tiefe in mir kam, den ich längst hinter mir gelassen zu haben gemeint hatte und dem ich nicht erneut begegnen wollte. Mir schien, als würde ich mich nun jedesmal, wenn ich mich an Izmir erinnerte, auch an diese Glut erinnern. Insgeheim freute ich mich durchaus, daß mein Erlebnis eine weitere Erregung in mein Leben gebracht hatte. Deswegen war es nicht so erstaunlich, wenn ich mit dieser Glut eine Möglichkeit nährte, wohin auch immer mich das führen würde. So sagte ich, ich wolle, da wir gerade über das Wochenende sprächen, nicht versäumen, ihr meine Grüße an Berfin aufzutragen. Ich konnte meinem Gefühl nur so, auf diese verborgene Weise, ganz heimlich Ausdruck verleihen. Sie sagte mit sehr femininer Stimme, sie werde diese Grüße ganz bestimmt ausrichten. Mir wurde bei dieser Antwort ein wenig mulmig. Hatte ich mich unnötig verraten, war ich auf ein Spiel hereingefallen, stand ich ungewollt entblößt im Mittelpunkt? … Ich versuchte, mich zu fassen. Das fiel mir nicht allzu schwer. Der Ausweg war, ich mußte zeigen, daß ich alle Erlebnisse lückenlos in meinem Gedächtnis gespeichert hatte. Dieses Mal erwiderte sie nichts. Vielleicht glaubte sie meinen Worten nicht. Um die Dinge nicht weiter zu verwirren, zog ich es vor zu schweigen. Ich beendete das Gespräch, indem ich es bei dieser kleinen Unbestimmtheit beließ. Dann faßte ich einen Entschluß. Ich würde dieses Thema nie, nicht einmal im Scherz, wieder anschneiden. Mit Necmi konnte ich vielleicht besprechen, was mir zu besprechen möglich war. Schließlich hatte ich mit ihm einen anderen Aspekt des Lebens geteilt, zu dem niemand so leicht Zutritt hatte. Eine einzige Seite war noch immer im dunkeln geblieben. Was Şeli gesagt hatte, als die Rede auf Niso kam … Ihre erste Reaktion im Laden, ihr Gesichtsausdruck, als sie mir seine Adresse gegeben hatte, und diese Stimme, die sich in meinen Geist eingenistet hatte … Etwas sagte mir, ich hatte nicht umsonst diese Verknüpfung hergestellt. Doch ich konnte nichts tun, als erneut darauf zu vertrauen, was die Zeit brachte. Wenn es etwas zu sehen gab, würde sich das Sehenswerte zu gegebener Zeit selbst enthüllen …
Das kleine Mädchen auf dem Gemälde
Die Erzählung floß dahin. Wir flossen in der Erzählung dahin … Ich hatte eine weitere Spur eines meiner Menschen gefunden. Natürlich würde ich gehen, wohin die Spuren mich führten. Wobei ich mich ständig daran erinnerte, daß jeder meiner Schritte auf diesem Weg einen weiteren Schritt zu mir selbst bedeuten konnte … Doch es gab noch eine andere Spur, der ich folgen mußte, selbst wenn ich noch nicht wußte, wer wem wen zeigen würde … Auf diesem Weg wartete Şebnem, die Şebnem in mir als Verkörperung dieser Spur. Diese Möglichkeit reichte völlig aus, daß ich einige Erschütterungen in Kauf nahm. So erlebte ich einen der wichtigsten Tage meiner Erzählung. Natürlich wußte ich nicht, daß mich ein solcher Tag erwartete, als ich mich aufmachte zu der Frau, deren Existenz ich all die Jahre in meinem Innersten gefühlt hatte. Auf dem Weg ins Krankenhaus sagte ich mir nur, daß ich meine Hoffnung nicht verlieren dürfe. Der Arzt hatte ja gesagt, man dürfe die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr nicht gänzlich ausschließen … Die Verbindungen waren ja nicht völlig abgerissen … Ich hatte es zwar noch nicht gehört, doch nach dem, was gesagt wurde, waren ein paar Sätze aus ihrem Mund geflossen, unbestimmt, zerrissen, ohne Sinn und Zusammenhang,
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