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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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sagen? … Lag die Antwort wieder im Schweigen? … Ich schwieg aber nicht, dieses Mal konnte ich nicht schweigen. Sowohl um meinetwillen als auch um seinetwillen … Um meine Glaubwürdigkeit nicht zu zerstören, vertraute ich noch einmal auf die Kraft der Worte
    »Sagst du nicht auch, daß Begegnungen den Lauf unseres Lebens verändern? … Daß mancher Tod uns auf ein wahreres Leben vorbereitet … Wie zwei Wolken, die zusammenstoßen, damit es regnet … Wie könnten wir sonst das Schicksal ertragen? …«
    Er schwieg. Es sah aus, als wollten seine Augen mir Zustimmung signalisieren. Wer wollte, konnte meine Worte sowieso auslegen, wie es ihm gefiel. Dennoch hatte ich die Antwort auf jene Frage nur so geben können. Wir schwiegen beide. Ich spürte aber, daß die Erzählung noch nicht zu Ende war. Tastend versuchte ich weiterzufragen.
    »Passierte danach nichts weiter zwischen euch? …«
    Er schaute aufs Meer hinaus. Es schien, als sei er wieder irgendwo ganz versunken. Deswegen verstand er zuerst nicht, nach wem ich fragte. Schließlich besann er sich. Aus seiner Antwort entnahm ich, daß sich jene Beziehung mit sehr andersartigen Menschen auf ganz andersartige Weise entwickelt hatte.
    »Mit Miriam? … Ja, ihr Name war Miriam … Sie war ein wunderbares Mädel. Von jenem Tag an hatten wir eine sehr tiefe Freundschaft. Genau wie sie es gesagt hatte … Sie hat sich oft um mich gekümmert, hat meinen Kummer geteilt. Dasselbe habe ich auch zu tun versucht. Mit Ari, ihrem Ehemann, habe ich ebenfalls unvergeßliche Augenblicke erlebt, doch er war ganz anders als sie … Jahrelang führten sie ihre Ehe in dieser Weise … Trotzdem haben sie sich getrennt. Miriam war diejenige, die weggegangen ist. Jetzt lebt sie mit einem reichen Amerikaner, der drei Kinder hat, in San Francisco … Manchmal vermisse ich sie sehr. Für ihr Weggehen gab es einen triftigen Grund. Den habe ich ebenfalls im Lauf der Zeit erfahren. Sie wollte endlich ein Kind haben. Ari konnte sich dazu nicht entschließen, er sagte, es sei Dummheit und Egoismus, ein Kind in diese Welt zu setzen. Denn die Unschuld sei längst verloren. Er würde sich an dieser Schuld nicht beteiligen … Im Hinblick auf das von ihm gewählte Leben konnte ich ihn verstehen. Hingegen konnte ich Miriams Beharren nicht verstehen. Ihr Lebensstil, ihre Vorlieben, ihr bisheriges Leben hatten sie in meinen Augen weit entfernt von der uns bekannten Mütterlichkeit. Eines Tages, als wir allein waren, fragte ich sie nach dem Grund für ihre Hartnäckigkeit; da füllten sich ihre Augen mit Tränen, und mit zitternder Stimme sagte sie, es gäbe einen allertiefsten Grund, an den sie sehr glaube, doch sie könne nicht mehr darüber sagen. Nachdem sie ein wenig geschwiegen hatte, sagte sie mit derselben zitternden Stimme, so als protestiere sie gegen ihr gesamtes Leben: ›Was glaubst du denn, warum ich dies alles durchgemacht habe? …‹ Ich war wie erstarrt. Das war eine Frage, die alles, was ich bis dahin mitbekommen hatte, erschüttern konnte. Eine Frage, die mich zu der Vermutung veranlaßte, daß womöglich alles nicht so war, wie es zu sein schien. Ich verstand nicht genau, was sie mitteilen wollte, aber ich konnte sehen, daß sie sehr litt. Dennoch konnte ich nicht weiter vordringen. Es war, als sagte sie mir mit den Augen, ich solle mich zurückhalten. Ich weiß nicht, ob du so etwas je erlebt hast. Vielleicht hatte ich auch nur das Gefühl, zurückgehalten zu werden. Weil ich nicht anders konnte …«
    Ich hatte das erlebt, natürlich. Die Umstände waren anders gewesen, aber das Gefühl war mir bekannt. Ich liebte ihn in diesem Moment noch mehr. Seine Ratlosigkeit, seinen Wunsch, mehr zu erfahren … Ich konnte sogar die Fragen hören, die er sich selbst stellte. Es war nun unausweichlich, daß wir einander dieses gemeinsame Schicksal mitteilten. Indem ich eine von diesen Fragen stellte, konnte ich ausdrücken, was ich wie und warum verstand.
    »Du fragst dich sicher manchmal, ob sie in dem Moment von dir erwartet hatte, einen anderen Schritt zu tun, nicht wahr? …«
    Er schaute betroffen, mit einer traurigen Freude, weil er sich verstanden sah, und mehr noch mit einer Aufregung, die er wieder nicht verbergen konnte. Unsere Entfernung hatte unsere Nähe nicht vernichtet.
    »Es war dies das erste und vielleicht einzige Geheimnis, das sie mir nicht verriet … Jetzt hat sie ihr Geheimnis mit sich fortgenommen. Ich hatte auch Gelegenheit, mit Ari darüber zu sprechen. Ich habe

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