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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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ihm berichtet, was mir seine Frau gesagt hatte. Wußte er die Wahrheit? … Vielleicht. Doch wenn er sie gewußt hätte, hätte er sie nicht sagen können, nach dem, was er von mir gehört hatte. Er war ein so edler Mensch, daß er mir nicht verraten hätte, was Miriam mir nicht gesagt hatte. Er schien bereit zu sein, die Trennung still zu ertragen, indem er seinen ganzen Kummer in sich vergrub … Ehe Miriam wegging, sagte sie mir in unserem letzten Gespräch, ihr Zusammenleben sei auf einem großen Tabu aufgebaut und eigentlich gar keine richtige Ehe gewesen. Ich dürfe aber keine weiteren Erklärungen verlangen und müsse mich mit dem Gesagten begnügen. Selbst dies wüßte niemand und würde niemand erfahren … Sie seien durch eine sehr seltsame Leidenschaft einander verfallen … Seit Jahren. Seit ihrer Kindheit … Über den Fluch, der sie verband, könne man nicht sprechen … Doch nun sei die Zeit gekommen, sich zu trennen, und wenn es das Leben koste. Eigentlich seien sie gar nicht so frei, wie es aussah … Die wirkliche Freiheit würden sie womöglich nur durch den Tod erfahren … Ich war gehörig verwirrt, hatte aber nicht die Kraft, weiter vorzudringen. Ich verstand nur, daß ich die Frau, die mir am meisten bedeutete, verloren hatte, ohne sie wirklich verstanden zu haben … Was gibt es doch für Beziehungen? … Ich konnte noch etwas sehen. Daß mit ihr die Solistin der Gruppe und nach meiner Meinung das wichtigste Mitglied wegging. Als ob es damit nicht genug wäre, zog sich kurz nach dieser Trennung unser Freund aus dem Iran, der in unserer Gruppe bendir 20 spielte, im Groll gegen das Leben zurück, nachdem er erfahren hatte, daß sein Sohn im Krieg in Palästina gefallen war. Er war sehr sensibel. Wir konnten ihn nicht halten … Ich war nun sehr enttäuscht und spürte, es war Zeit, mich von der Gruppe zu trennen. Es schien ein Fluch auf uns zu liegen. Ich redete mit Ari, unserem Leiter. Er reagierte verständnisvoll. Nach diesen Trennungen hatte er ebenfalls seine Begeisterung verloren. Es war Zeit, daß wir alle verschiedene Wege einschlugen. Die Gemeinsamkeit der Gruppe war zu Ende. Wir hatten getan, was wir konnten. Am Ende unseres Gesprächs sagte Ari, daß er mich manchmal um meine Beziehung zu Miriam beneidet hätte, nicht deswegen, was vor Jahren einmal vorgefallen sei, sondern wegen unserer Freundschaft, unserer Nähe. Ich sei einer der wenigen Menschen gewesen, denen gegenüber diese Frau sich geöffnet hatte. Ich wußte natürlich nicht, was ich sagen sollte. Ich schämte mich, war betroffen, bin sicherlich rot geworden, doch ich wußte nicht, was ich sagen sollte.
    Jetzt treffen wir uns, wenn auch selten, setzen uns irgendwo hin und reden lange. Es gibt eine Menge Themen, über die wir sprechen: vom Palästinenserproblem über die Auswirkungen der Globalisierung auf uns, über Frauen bis hin zu Fußball. Manchmal kommen auch die anderen Mitglieder der Gruppe. Wir spielen dann nur für uns. Wir trinken, trinken alles mögliche im Andenken an die alten Zeiten, sitzen in der Nacht da und spielen bis zum Morgen. Nur über Miriam sprechen wir nicht. Dieses Verbot haben wir uns von alleine auferlegt. Insbesondere ich achte darauf, nicht von ihr zu sprechen. Denn ich weiß, sie hat dort das Leben gefunden, das sie sich gewünscht hat. Jedenfalls sagt sie, sie sei glücklich, und ich glaube es. Wir schreiben einander, wenn auch nicht oft. Was ich weiß, weiß ich aus ihren Briefen. Inzwischen hat sie von dem Amerikaner auch das ersehnte Kind bekommen.«
    Unerwartet waren wir an einen sehr sensiblen Punkt gelangt. Ehrlich gesagt hatte ich zu Beginn unseres Gesprächs nicht ahnen können, daß sich die Erzählung in dieser Weise entwickeln würde. Überraschende Ausgänge haben mich immer beeindruckt. Doch hier waren die Auswirkungen, das Echo, vermutlich ebenso wichtig wie der Schluß selbst. Miriam hatte, soweit ich sehen konnte, in Nisos Seele tiefe Eindrücke hinterlassen. Dem mußte ich nachspüren, und zwar sofort.
    »Du hast dieses Mädel geliebt …«
    Er zündete sich eine Zigarette an und nahm einen Zug. Ich spürte, daß er sich anschickte, in die Tiefe einer anderen Erzählung hinunterzusteigen oder die Tür einer anderen Verletzung zu öffnen. Was er erzählte, sollte langsam zeigen, daß mein Gefühl mich richtig geleitet hatte …
    »Ich habe sie geliebt, und zwar sehr. Doch nicht in der Weise, wie du vermutest. Das zwischen uns war keine Leidenschaft, sondern etwas anderes. Nun

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