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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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eigenen Berechnungen an. Dinge aus unserer Vergangenheit, unsere Schwächen, das Verborgene, unterdrückte Wünsche, Ängste, die mit anderen zu tun haben, unser Zorn, ich weiß nicht … Wir ließen uns hinreißen … Dann kam Ora eher als erwartet nach Hause und fand uns beide im Bett … Das ist alles … Die Geschichte ist einfach zum Schämen, wie immer du es auch betrachtest, eine blamable und unglückselige Geschichte … Eine Geschichte, die in so einem Moment den Menschen seine Charakterlosigkeit fühlen läßt … Ob es nun richtig ist oder falsch … Das war es, was ich in dem Moment fühlte … Sowohl den beiden Frauen gegenüber als auch mir selbst … Was dann kam, kannst du dir denken. Şeli ging wortlos weg. Ein paar Tage später ging auch Ora. Ich versuchte zu erklären, ich konnte es nicht; ich bemühte mich sehr, sie zurückzuholen, ich habe viel geredet, aber es gelang nicht. Ganz ohne Grund habe ich eine Beziehung kaputtgemacht … Vielleicht waren wir aber auch am Ende … Später habe ich über diese Seite der Sache nachgedacht. Wir waren am Ende und haben uns die Wahrheit irgendwie nicht eingestehen wollen. Nicht einmal uns selbst … Also war dies der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen gebracht hat …«
    In dem Mosaik der Erzählung hatte ein weiterer Stein seinen Platz gefunden. Es war interessant, daß Şeli sich entschlossen hatte, diesen Vorfall nicht zu erzählen, trotz all ihrer Lockerheit, Aufrichtigkeit und Selbstsicherheit. Es war auch verblüffend, insbesondere wenn ich daran zurückdachte, was sie alles erzählt, mitgeteilt hatte. Unmöglich, daß sie nicht gedacht hatte, ich würde die Wahrheit früher oder später erfahren. Und wenn das so war? … Gab es auch für sie unüberwindliche Schwächen, Sackgassen? … Geheimnisse, die sie nur insgeheim ertragen konnte? … Lügen? … Vielleicht sogar Lügen, die ihr nicht richtig bewußt waren? … Schließlich paßte diese Beziehung nicht zu den berichtenswerten Siegen, mit denen sie aus ihren Kämpfen hervorgegangen war. Es war nicht leicht, sich manche Niederlagen einzugestehen. Daß sie sich diese nicht eingestand, wies womöglich auf eine andere Schwäche, einen unbeendeten inneren Kampf hin, aber es war zugleich eine Tatsache, ob es ihr nun gefiel oder nicht. So war es. Wenn Şeli über das Geschehen nachdachte, kämpfte sie vielleicht auch mit einem Schuldgefühl, mit dem sie nicht fertig wurde … In einem solchen Kampf mußte man manchmal die Schuld einem anderen aufladen, dem anderen Menschen, mit dem man die Schuld teilte. In der Hoffnung, das Erlebte so leichter ertragen zu können … Es war nicht einfach … Ein Moment der Schwäche hatte dazu geführt, daß eine Beziehung zu Ende ging, zerstört wurde … In dieser Situation konnte man wahrscheinlich nicht so leicht sagen, man solle nicht von Schuld reden … Ich konnte, wenn ich die Sache von dieser Seite her betrachtete, ein wenig verstehen, daß Şeli von Niso erwartete, daß er das Ganze erzählte. Zudem ergaben sich aus diesem Zusammensein, sofern man den Vorfall als ein Zusammensein bezeichnen mag, auch andere Fragen, die sich gar nicht so leicht beantworten ließen. Beispielsweise, warum diese Beziehung gerade damals erlebt wurde? … Was wollte Niso damit sagen, wenn er davon sprach, daß ein jeder seine eigenen Berechnungen anstellte … Waren manche Wünsche langsam unbewußt mitgewandert? … Ich erinnerte mich plötzlich, wie sie sich gestritten hatten an jenem Abend vor Jahren, als wir noch weit von dem Erlebten entfernt waren. Wie Şeli den Fruchtsaftcocktail in Nisos Gesicht geschüttet hatte und er das als sehr erregend empfunden hatte … Wir drei waren eine Insel gewesen … Vielleicht zum letzten Mal zusammen … Ich weiß nicht, warum ich mich plötzlich an jenen Abend erinnerte. Andererseits hatte die Angelegenheit auch eine Ora betreffende Seite. Ich konnte natürlich verstehen, daß sie sich sehr erniedrigt und gekränkt gefühlt hatte. War ihre Reaktion nicht aber doch als eine sehr maßlose, überzogene Reaktion anzusehen? … Wurden Beziehungen nicht manchmal auch trotz Kränkungen weitergeführt, versuchte man sie nicht weiterzuführen, weil man sich ausrechnete, daß eine Trennung noch schwerer zu ertragen wäre? … Berechnungen … Eigentlich mochte ich das Wort überhaupt nicht … Niso hatte mich gezwungen, mit diesem Wort zu denken. Darum ging es sowieso nicht. Wichtig war vielmehr, daß ich über die Fragen nachdachte und das,

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