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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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Arbeit konnte überall schmutzig sein. Ich verstand, daß das nichts für mich war. Ich trat aus der Partei aus. Von meinen Überzeugungen verabschiedete ich mich jedoch nicht. Vielleicht habe ich manche Enttäuschung erlebt. Aber das ist nicht wichtig. Denn niemand konnte mir meine Gedanken rauben. Niemand hat sie mir je rauben können … Inzwischen habe ich auch Israel und seinen Krieg, den es führt, besser zu verstehen begonnen. Doch meine Einsicht hindert mich nicht daran, gegen das imperialistische Verhalten in den besetzten Gebieten zu sein. Wir haben unsere Bemühungen mit den israelischen und den palästinensischen Genossen gemeinsam weitergeführt. Und wir machen immer noch weiter. Auch gibt es eine Wahrheit, die ich sehr gut kenne und verstanden habe: Kein Land, eingeschlossen die Türkei, hat in bezug auf Israel ausreichend zutreffende Analysen erstellt. Das kann sogar jemand wie ich erkennen. Dieses Land hat ein ernstes Problem in bezug auf Öffentlichkeitsarbeit. Schau, wir haben große Protestmärsche organisiert gegen das, was in Ramallah, in Dschenin, im Libanon passiert ist. Denn es gibt nicht nur das eine Israel. Wir haben achtbare Schriftsteller, Journalisten. In diesem Land gibt es auch uns. Wie du siehst, sind wir auch dort in der Minderheit, verflucht noch mal. Aber glaub mir, die Mehrheit ist der Lage überdrüssig. Das Volk hat den Krieg satt. Ich meine, wenn du wüßtest, was dort mitten im Alltagsleben passiert … Ist es etwa leicht, mit der Angst zu leben, daß einem im Café oder in einem Restaurant, im Bus bei der Rückkehr von der Arbeit oder wenn dein Kind im Schulbus zur Schule gefahren wird, jeden Augenblick eine Rakete auf den Kopf fallen kann? … Oder die Angst, dein Kind mitten ins Feuer zu schicken, wenn du es bis zu einem bestimmten Alter großgezogen hast? … Nun ja, das sind sehr weitreichende Probleme … Vielleicht interessieren sie dich auch gar nicht so sehr. Du weißt, wenn ich mal anfange, von etwas zu reden, das mir wichtig ist, wenn ich mich aufrege, kann ich so leicht nicht aufhören …«
    So war es wirklich. Auch in den Tagen unserer Freundschaft war er oft von einer augenblicklichen, unbegreiflichen Aufregung erfaßt und mitgerissen worden und hatte irgendwie nicht wieder aufhören können. Es war schön zu sehen, daß er diese Eigenschaft nach all der Zeit nicht verloren hatte … Ich hörte ihm lächelnd zu, wobei ich einige alte Bilder aus meinem Gedächtnis hervorkramte. Ich wollte auch dieses Gefühl genießen. Doch gab es noch andere Gründe, daß ich schwieg und nicht versuchte, ihn zu unterbrechen. Zum einen, weil mich das, was er sagte, ganz im Gegensatz zu seiner Vermutung sehr interessierte. Zum anderen wollte ich vermeiden, daß er durch eine unnötige, unangebrachte Frage oder einen Kommentar meinerseits das Gefühl für seine Erzählung verlor. Und drittens war ich überzeugt, daß in solchen Fällen, in solch ausführlich erzählten Lebensgeschichten plötzlich mitten in ihrem natürlichen Verlauf ein Detail erwähnt werden konnte, das ein unglaubliches Licht auf das Erlebte warf.
    Auch war es für mich sehr wichtig, von ihm über eine Weltgegend zu hören, die mir niemals gleichgültig sein würde. Doch wenn ich ehrlich sein sollte, so interessierte mich sein Theater- und Musikerleben noch viel mehr. Ich wußte, er konnte das, was er in diesem Bereich getan hatte, sowieso nicht von seiner politischen Haltung trennen. Zumindest hatte ich ihn als solch einen Menschen gekannt. Deshalb versuchte ich, das Gespräch auf seine Vergangenheit zu lenken, von der ich noch mehr erfahren wollte.
    »Gut, wie hat denn jene Arbeit als Musiker angefangen? … Wo hast du gespielt? … Du hattest es ja nicht nötig, in Nachtclubs das tägliche Brot zu verdienen! …«
    Er lachte. Soweit ich nun verstand, lag in seinem Lachen nicht nur ein kleiner Stolz, den er nicht verstecken wollte, sondern auch eine ausgeprägte Schalkhaftigkeit, die ihm meiner Ansicht nach trotz all der Jahre immer noch gut stand.
    »Ich habe die Gitarre aufgegeben … Inzwischen spiele ich nur noch saz und bağlama . 19 Ich lebe mein Türkentum dort auf diese Art aus. Indem ich meine Seele vollkommen in die Musik lege, die ich mache … Das wollte ich dir eigentlich von allem Anfang an erzählen. Wir haben jetzt einen bekannten Namen, und ebenso bekannt ist, wie wir von denjenigen beurteilt werden, die sich selbst nicht kennen; ersparen wir uns die Details. Aber wenn wir nun schon mal dabei

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