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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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sind, muß ich es doch sagen. Schau, sagen wir mal, der Mann heißt Oğuz. Ein richtig türkischer Name, nicht wahr? … Er hat in Amerika irgendwo an guten Universitäten studiert. Deswegen sind drei von zehn seiner Wörter englisch, denn er kann nicht anders, so hat er es gelernt. Außerdem hört er immer Jazz. Ich höre klassische türkische Musik. Er trinkt Whisky, ich Raki … Nun frage ich: Wer von uns beiden ist mehr Türke? … Na egal, ein jeder soll sich blamieren, wie er will. Am besten erzähle ich dir, wie die Sache angefangen hat. Da siehst du noch einmal, wie Zufälle, Begegnungen das Leben des Menschen verändern. Es war an einem der Tage, als ich die Nase voll hatte von jenen kleinen politischen Auseinandersetzungen. Zwischen Tür und Angel fand ich Gelegenheit, mit einer jungen Frau ein paar Worte zu wechseln, die ich aus der Partei nicht besonders gut, nur vom Sehen kannte, die mich aber, offen gesagt, schon lange ziemlich interessierte. Als ich merkte, sie war sehr locker, sehr nett, sagte ich mir, ich könne es ja mal probieren, und lud das Mädel zu einem Kaffee ein. Sie war einverstanden, und wir setzten uns in eine nah gelegene Konditorei. Dabei gab dann ein Wort das andere … Irgendwann fing sie an von Musik zu reden, zum Beispiel über die Musikstile auf der Welt. Ich sei ja Türke … Das Mädel war in Israel geboren, eine echte ›Sabra‹. Doch von ihrer Familie hatte sie verschiedene Kulturen mitbekommen. Ihre Mutter stammte aus Venezuela, ihr Vater aus Polen. Deswegen konnte sie auch Spanisch. Im Gespräch glitten wir ab und zu ins Spanische hinüber. Auch das gefiel mir außerordentlich gut. Nebenbei gesagt, ich habe dort auch intensiv Spanisch gelernt. Also war das, was wir von unseren Großmüttern gelernt hatten, doch zu etwas nütze. Es stimmt, daß ich im Gespräch mit diesen Menschen ganz kostenlos eine Sprache gelernt habe. Natürlich habe ich auch einige Bücher gewälzt. Nun gut, als ich dem Mädel sagte, daß ich früher Gitarre gespielt habe, aber mich nun mehr für bağlama und saz interessiere, wurde das Gespräch intensiver. Ich hatte die Instrumente bei meinen Eltern bestellt, wobei ich ihnen extra aufgetragen hatte, wo in Istanbul sie sie kaufen sollten. Netterweise hatten sie die Mühe nicht gescheut, sie zu bringen … Das Mädel stellte nun Fragen, und ich erzählte. Sie interessierte sich immer mehr und versuchte, diese Instrumente zu verstehen. Ihre Fragen wiesen sie als eine aus, die etwas von Musik verstand, das entging mir nicht. Du weißt ja, ich bin nicht auf den Mund gefallen, und wenn das Thema interessant und die Dame schön ist, dann rede ich gerne. Ich kam dermaßen in Fahrt, unvorstellbar. Nachdem sie mir eine ganze Weile konzentriert zugehört hatte, sagte sie plötzlich, sie hätten eine ethnische Musikgruppe, in der sie Vokalistin sei und manchmal auch Geige spiele, und sie lud mich ein, mit ihnen ein paar Stücke zu erarbeiten … Wie du siehst, war das genau mein Ding. Ich war wohl im achten oder neunten Jahr dort, genau erinnere ich mich nicht. Doch ich erinnere mich, daß ich mir sagte, das sei wohl das beste Arbeitsangebot, das ich bisher in meinem Leben bekommen habe. Ich rede hier von einem Angebot, doch ich wußte natürlich nicht, was mir passieren, wie sich die Dinge entwickeln würden. Ich wußte auch nicht, ob es ein professionelles Angebot war und ob sich mein Leben ganz plötzlich verändern würde. Ich überließ mich ganz einfach der Strömung, die zu spüren dem Menschen schon genügt. Du weißt, ich bin begeistert von solchen Situationen. Ich sagte, ich könne sofort kommen, so eine Arbeit würde mein Leben bereichern. Meine Impulsivität begeisterte das Mädel, und ihre Begeisterung begeisterte wiederum mich. Ich konnte es sowieso nicht mehr an meinem Platz aushalten. Aus dieser Begeisterung heraus lud ich sie an jenem Tag in meine Wohnung ein und sagte: ›Komm und schau dir selbst an, was die saz für ein Ding ist.‹ Sie war ähnlich gestrickt wie ich und ließ sich das nicht zweimal sagen. Ich bot ihr Raki an, und wir tranken ein wenig. Danach gab ich ihr eine kleine Vorstellung und ließ ein, zwei Stücke von Ruhi Su explodieren. Sie war sehr beeindruckt. Dann fingen wir plötzlich an, uns zu lieben. Es war ein unglaublicher Liebesakt, Bruder, noch die Erinnerung daran erregt mich, glaub mir. Bis zu dem Tag waren so viele Frauen in jene Wohnung hereingeschneit, doch sie war anders, ich kann nicht sagen, was an ihr so anders

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