Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
war, sie war eben anders. Wir blieben auf dem Fußboden hingestreckt liegen. Eine Weile haben wir geschlafen. Nach dem Aufwachen rauchten wir eine Zigarette. Eine von den speziellen Zigaretten, du weißt schon … Dann plötzlich, ganz ruhig, hat sie etwas Unglaubliches gesagt: ›Ich bin verheiratet, und mein Mann spielt in der Gruppe die Klarinette.‹ … Die Verwirrung in meinem Gesicht war sicherlich sehenswert. Das Mädchen wollte sich totlachen, du kannst es dir nicht vorstellen. Als ich sagte, ich könne mich unter diesen Umständen nicht der Gruppe anschließen, fand sie mein Verhalten dermaßen komisch, daß sie, so nackt, wie sie neben mir lag, aufs neue und noch mehr zu lachen anfing. Ich versuchte ebenfalls zu lachen, um nicht unhöflich zu erscheinen, doch ich konnte eigentlich nicht entscheiden, worüber ich lachen sollte. Über das Mädel oder über meine Lage, in die ich geraten war? … Dann schaute sie mich an und sagte zärtlich und verführerisch lächelnd: ›Du dummer Türke! … Daran gewöhnst du dich schon, mach dir keine Sorgen, wir werden eine wunderbare Freundschaft miteinander erleben, du wirst sehen, ich spüre das. Unsere Ehe ist halt eine solche Ehe …‹ Wäre es jemand anderer gewesen, hätte ich ihr auf den ›dummen Türken‹ die entsprechende Antwort gegeben. Doch in dem Augenblick fühlte ich schon die gleiche Freundschaft wie sie. Das heißt, auch ich wollte aus tiefster Seele an diese Möglichkeit glauben. In dem Moment fragte ich mich, ob das Mädel wohl über Zauberkräfte verfügte. So hatte es mich erwischt, obwohl ich noch nicht genau wußte, womit ich zusammengeprallt war. Natürlich sprach ich das mit der Zauberei nicht aus. Sonst hätte ich vielleicht ihr Vorurteil über meine ›Dummheit‹, die sie mit meiner Kultur, meinen Wurzeln assoziierte, noch verstärkt! …
Nun, kurz und gut, ich schloß mich ein paar Tage später der Gruppe an. Der Ehemann des Mädels war ein toller Kerl, ein guter Mensch und ein prima Musiker. Schon bei unserer ersten Begegnung spürte ich, daß er von der Sache wußte. Ich ließ mir nichts anmerken. Wir würden zu gegebener Zeit sicher über das Thema sprechen, sagte ich mir. Wir sprachen auch darüber … Jedoch unter ganz anderen Bedingungen, mit ganz anderen Gefühlen und Erfahrungen als in jenen Tagen … Binnen kurzem hatte ich mich an die Gruppe gewöhnt. Die Musik, die wir machten, war genau nach meiner Vorstellung. Wir paßten Musikstücke aus verschiedenen Kulturen, Ländern dem von uns gefundenen Stil an und entwickelten daraus eine andere Musik. Du wirst es nicht glauben, aber dieses Zusammenspiel dauerte jahrelang. Bis vor zwei, drei Jahren … Es dauert sogar noch an, aber nicht wie früher. Einerseits gab es Trennungen, andererseits habe ich den Schwerpunkt jetzt mehr auf die Theaterarbeit gelegt. Was haben wir in diesen langen Jahren nicht alles erlebt … Wir haben mit einer guten Agentur zusammengearbeitet. Es kam die Zeit, da wir nicht nur in Israel, sondern praktisch durch die ganze Welt getourt sind. Wo waren wir nicht alles … In Hongkong, in Paris, Rom, auf Sizilien, in New York, Amsterdam … Glaub mir, ich übertreibe nicht, ich könnte die Liste noch fortsetzen. Unter anderem habe ich in den Städten, in die wir kamen, auf den Festivals viele bekannte Namen kennengelernt. Stephan Micus, Maria Faranduri, Paco de Lucia … Wie oft haben wir in verschiedenen Lokalen der Welt zusammengesessen, miteinander getrunken und, wenn wir begeistert waren, miteinander gespielt … Wäre ich in der Türkei geblieben, hätte ich das nicht tun können. Nicht wahr, ich hätte das nicht tun können, oder? …«
Es schien, als wäre es wieder Zeit, innezuhalten und Atem zu holen. Gab es eine einfache Antwort auf seine Frage? … Die eigentliche Antwort … Lag die eigentliche Antwort in unserem Schweigen, in unserer Tiefe, wo wir unsere Wunden zu heilen und vor allem zu verstecken versuchten? … Jede Weltgegend hatte ihr eigenes Schicksal. Und überall, wo Menschen ein gemeinsames Schicksal teilten, entwickelten sie auch ein Gewissen … Jemand wie er hätte zweifellos auch in Istanbul seinen Weg gemacht. Er hätte sicher einen Weg gemacht, auch wenn es ein anderer gewesen wäre. Doch ich spürte in diesem Moment, daß sich hinter seiner Frage eine andere Frage verbarg, die er irgendwie nicht stellen konnte. Vielleicht war es auch eine Frage, die aus dem Wunsch kam, noch einmal an seinen Lebensverlauf zu glauben. Was sollte ich
Weitere Kostenlose Bücher