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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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mit seinen Worten wollte er auf sich aufmerksam machen. Man konnte in diesen Worten auch eine versteckte Hochnäsigkeit sehen. Trotzdem war dies eine berechtigte Frage. War die eigentliche Absicht nicht, anläßlich des ›Stücks‹ uns wiederzusehen oder uns in gewisser Weise zu zeigen, uns zu Gehör zu bringen? … Doch es war auch möglich, daß die Worte von Yorgos auf etwas anderes zielten. In der Geschichte der ›Schauspieltruppe‹ hatte es nicht nur Freundschaft gegeben. Deswegen war es unvermeidlich, daß seine Frage auf Şeli wirkte. Sie war es ja, die das Thema Spende aufgebracht hatte, und sie bemühte sich, die Situation zu retten.
    »Gut, gut! … Wir haben diese Sache vielleicht ein bißchen zu sehr aufgebauscht … Vergeßt es … Ihr habt recht, die Absicht war, zusammenzukommen … Wir haben es gewollt, und nun sind wir hier …«
    Mit diesen Worten wollte sie wohl auch vermeiden, daß ihre Idee und mehr noch sie selbst gerade jetzt Mißfallen erregten. An die Stelle der Frau, die höchst selbstsicher war, beziehungsweise Selbstsicherheit mit großer Meisterschaft spielte, war ein etwas hitziges, junges Mädchen getreten, dessen Charme allerdings nicht zu übersehen war. Wenn schon ich das bemerkte, dann erst recht Yorgos. Versteckte sich hier wohl das Spiel einer alten, nicht erkalteten Liebe? …
    Yorgos schaute die Frau, die ihm gegenübersaß, lächelnd an. Da sah ich, wie sie sich in die Augen blickten. Und auch, wie Şeli leicht errötete. In dem Moment wurde mir wieder einmal klar, wie manche Augenblicke viele Gespräche, sogar sehr lange Gespräche ersetzen konnten. Was ich sah, sagte mir auch, daß sie nach einer solchen Begegnung ganz sicher zusammenbleiben würden und miteinander erleben würden, was möglich war. Genau in diesem Moment meldete sich Zafer Bey. Seine Worte führten uns in die Gegenwart zurück.
    »Wenn Sie eine Spende machen wollen, dann habe ich eine Idee …«
    Wohl oder übel wendeten sich alle Blicke sofort ihm zu. Ich vermute, wir alle brauchten diesen Ton. Ein Aufatmen schien sich am Tisch zu verbreiten. Alle waren bereit zuzuhören. Und er fuhr lächelnd fort, als sei er sich seiner Wirkung bewußt.
    »Seit langem schon wollen wir für die Station, wo Şebnem lebt, eine Arbeits- und Entwicklungsabteilung einrichten. Wir könnten die Werkstatt ausbauen. Wir könnten einen Fernseher kaufen. Wir könnten sogar ein Filmvorführgerät installieren …«
    Ich schaute zu Şebnem hin. Auf ihrem Gesicht war eine unübersehbare Freude zu lesen. Diese Freude konnten wir fördern, teilen, zusammen erleben. So ein Erlebnis konnte unserem Zusammentreffen nach all den Jahren noch mehr Sinn verleihen. Auch mich durchzog eine Welle der Freude. Eine Welle der Freude … Doch zugleich ein Kummer, besser gesagt eine Angst, ein Kummer, der aus einer Angst herrührte … Ich mußte mich noch einmal mit einer Tatsache auseinandersetzen. Höchstwahrscheinlich hatte die Frau, die ich aus einem tiefen Schlaf zu erwecken versuchte, ihr Zimmer in jenem Krankenhaus als ihr letztes Zimmer angesehen. Und zwar seit Jahren schon … Ohne daß auch nur ein Mensch sie besucht hatte … Vielleicht hatte sie geglaubt, sich dort gefunden zu haben, weil niemand sie suchen, finden wollte. Und nun? … Was würde sie jetzt erleben? Würde dieses Erwachen nicht dazu führen, daß sie dort eine andere Angst, Fremdheit und Ferne erlebte? … Es war mir gelungen, sie zu erwecken. Doch wo war die Tür, die sie wirklich nach draußen führte? … Wo war ihr neues Zimmer? … Gab es ein neues, ein wirkliches, noch sichereres Zimmer? … Vielleicht hatte auch Necmi, der mit mir auf den Weg dieser Erzählung aufgebrochen war, diese Fragen nicht bedacht. Vielleicht hatten wir einen falschen Schritt getan, und zwar einen entscheidenden Schritt. Über diese Angst, über diese Befürchtungen, die dieser Schritt in mir weckte, mußte ich mit ihm reden, unbedingt. Aber zweifellos war dafür jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Doch ich wußte, nun konnten wir dieses Gespräch nicht viel länger aufschieben. Ich weiß nicht, ob Necmi das, was ich fühlte, jetzt oder zu anderer Zeit gefühlt hatte, doch seine Reaktion auf den Vorschlag paßte zumindest zu dem Gespräch am Tisch.
    »In Ordnung, Doktor, das gefällt mir! … Was sagt ihr, Freunde? … Der Aktionsplan steht auch schon … Wir können gleich anfangen!«
    Diese Worte, diese Haltung waren typisch für ihn, brachten ihn zurück. Ich konnte sehen, wie sich die

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