Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
Erinnerung zu rufen, und mir wurde bewußt, mit wem ich mich wo befand. Wieder waren keine Worte nötig. Sie stand auf und näherte sich mir langsam, setzte sich auf meinen Schoß und streichelte meine Haare. Sie ließ ihre Lippen über meinen Hals wandern. In der Hitze ihres Atems war ganz sicher jener noch nicht erstorbene Appell zu spüren. Sie flüsterte mir mit der Vertraulichkeit, die wir durch unser Zusammenleben aufgebaut hatten, ins Ohr:
»Bleib nicht zu lange, und quäl dich nicht zu sehr … Du wirst sehen, alles wird gut …«
Alles wird gut … Lag in diesen Worten das aufrichtige Bemühen, Mut zu machen, oder der Ausdruck einer geheimen Angst, einer Befürchtung? … Konnte es sein, daß sie, indem sie versuchte, mir Mut zu machen, auch sich selbst Mut zusprechen wollte? … Ich hielt inne. Es hatte keinen Sinn, in jener Nacht diesen Weg weiterzuverfolgen. Denn in dieser Nacht hatte ich noch andere Fragen. Fragen, die mich viel weiter in die Ferne zogen … Dennoch lächelte ich, um ihr als Antwort auf diese Worte die Liebe zu geben, die ich geben konnte … Dann küßten wir uns. Sie gab mir einen leichten Schlag auf die Schulter, erhob sich und verließ langsam den Salon. Ich zündete mir eine Zigarette an. An diesem Abend hatte ich schon viel geraucht, aber das war egal. Nun war ich endlich allein. Allein mit viel Kummer und Vergangenem … Mir gingen so viele Fragen durch den Sinn … Beispielsweise, wie Şebnem in ihr Zimmer zurückgekehrt war, mit welchen Gefühlen? Wie erlebte sie ihr Zimmer, nachdem sie uns alle erlebt hatte? … Würde sie den Text durchlesen? … Würde sie, falls sie denn läse, sich hineinversetzen können? Und wenn sie sich hineinversetzen könnte, wie weit? … Und was war mit Yorgos und Şeli? … Würden sie zusammenbleiben? … Sicherlich, ganz gewiß würden sie zusammenbleiben. Manche verschlossenen Türen öffneten sich mit der Zeit ganz von selbst … Vielleicht hatten sie sich verabredet, um sich zu treffen, um sich endlich treffen zu können. Vielleicht waren sie gemeinsam irgendwohin gegangen, um all den vielen aufgeschobenen Nächten endlich zu ihrem Recht zu verhelfen, auch wenn sie wußten, daß es für das, was sie erleben würden, keine Zukunft gab, oder weil sie wußten, daß es für sie keine Zukunft gab … Die verbleibende Zeit war nämlich nicht mehr so lang wie früher, die Zukunft war nicht mehr so lang … So oder so hieß die eigentliche Frage: War diese Liebe es wert, ausgelebt zu werden? Gab es noch eine Flamme, die nicht erloschen war? … Zumindest für ein Mal … Ein letztes Mal … Um noch einmal das Gefühl des Unvollständigen, des Unausgeschöpften zu erleben … Um mit anderen Gefühlen und Erinnerungen leben zu können … Um sich mit der Vergangenheit versöhnen zu können … Ich würde natürlich nicht erfahren, was sie erlebten, wenn sie es nicht wollten. Und die Protagonisten dieser Erzählung würden erleben, was ihnen möglich war …
Die Fragen kamen in dieser Weise … Ich schaute auf die Uhr … Es wurde bald vier. Eine unerträgliche Schwere senkte sich auf mich. Unter der Last dieser Schwere ging ich ins Schlafzimmer. Unter dieser Last zog ich mich aus und legte mich ins Bett. Als ich mich hinlegte, sah ich, daß Çela noch nicht schlief. Wieder näherte sie sich mir mit jenem Atem, berührte und streichelte mich … Wieder war sie unter dem Nachthemd nackt … Was auch immer Nacktheit, wirkliche Nacktheit für uns war … Ich tat, wonach sie sich sehnte. Sie streichelte mich weiter. Unser gegenseitiges Streicheln war mehr als eine Bestätigung unserer Liebe. Alles übrige ergab sich von selbst. Neulich an jenem Abend hatten wir das gleiche erlebt, mit den gleichen Gefühlen. Wie erregend konnten Befürchtungen und Ängste doch sein. Es kam nicht unerwartet. Diese Nacht hätte nicht anders enden können.
Nach dem Liebesakt umarmten wir uns schweigend. Die Liebesakte hatten ihre Worte verloren … Diese Wortlosigkeit war eine tiefe, aber sehr bedeutungsvolle. Eine Wortlosigkeit, die viele alte Worte, Gespräche in sich barg … Danach folgte nicht mehr viel. Ich konnte ihr nur sagen, daß ich sehr müde sei, in jeder Hinsicht sehr müde … Sie begriff, ich bin mir sicher, sie begriff sehr gut. Anders hätte ich nicht verstehen können, warum sie neben mir liegend wieder wortlos meine Haare streichelte. Ich mußte an diese Liebe, vielmehr diese Vertrautheit glauben. Ja, ich würde so weit gehen, wie ich konnte. Wir würden
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