Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
so weit gehen, wie wir konnten … Welcher Ort blieb, an den ich gehen konnte? … Das war die Frage, die ich mir von Anfang an gestellt hatte, um mich besser zu verstehen. Doch die Antwort war noch nicht hinreichend klar. In jener Nacht gegen Morgen blieb ich an diesem Punkt stecken. Danach überließ auch ich mich langsam dem Schweigen des Schlafes.
Es gab noch einen Ort
Am nächsten Morgen erwachte ich einerseits voll Freude, einen gewissen Punkt erreicht zu haben, voll Begeisterung, einen Traum verwirklichen zu können, aber andererseits auch mit unbeantworteten Fragen, deren Wurzeln sich weit über die letzte Nacht hinaus erstreckten. Ich war mir sicher, das ›Stück‹ würde auf die Bühne kommen, wir würden spielen. Aber danach? … Höchstwahrscheinlich würde danach jeder wieder in sein Leben zurückkehren. Wir alle hatten unser Leben eingerichtet und das aufgebaut, was wir konnten. Vielleicht würden wir uns später nicht mehr sehen können oder aus unterschiedlichen Gründen, aus Selbstschutz womöglich, nicht mehr sehen wollen. Einige von uns würden erneut ihre Spuren verwischen, um zu überleben oder ihr bisheriges Leben weiterführen zu können. Diese Wahrscheinlichkeit brachte mich an einen unliebsamen Punkt, drohte mich mit Dingen zu konfrontieren, denen ich mich nie gerne hatte stellen wollen. Und doch hatte ich wohl trotz allem für mich und für uns alle die ersten Schritte auf einem Weg, der bis zum letzten Atemzug dauern würde, einem Weg, der allein uns gehörte, tun können, was auch immer wir dabei erleben würden. Dachten die anderen Helden des Spiels ebenso? … Hatte dieser Weg auch für sie eine Bedeutung? … Gewiß, ganz sicher. Wären sie meinem Appell sonst gefolgt? … Schließlich waren alle gekommen. Alle … Mit dem, was sie erlebt hatten und nicht hatten erleben können … Aus ganzem Herzen … Mit ihren Siegen und Niederlagen …
Gestärkt durch dieses Gefühl, las ich den Text des Stücks noch einmal durch. Von Zeit zu Zeit hörte ich jenes alte, weit entfernte Gelächter. Ein Gelächter, das inzwischen etwas ganz anderes bedeutete.
Was die Inszenierung betraf, so konnten wir uns nun ganz auf Yorgos verlassen. Dieser war inzwischen wirklich ein Profi. Auch Nisos Erfahrung war nicht zu verachten. Nur diese beiden hatten, wie es so schön heißt, weiterhin den Staub der Bühne geschluckt. Doch diejenige von uns, die am allerliebsten weitergemacht hätte, war irgendwo auf dem Weg verlorengegangen … Darin lag genau das Problem … Was würde sie tun? … Was würden wir mit ihr tun? … Es war unmöglich, daß sie wieder die Hauptrolle spielte. Würde sie überhaupt auf die Bühne treten können? … Sicherlich war ich nicht der einzige, der diese Frage stellte. Die Lösung? … Es würde sich gewiß eine Lösung finden lassen, trotz aller Hindernisse. Bei unserem Treffen am nächsten Tag würden wir wohl oder übel dieses Thema besprechen müssen. Doch plötzlich hatte ich das Gefühl, ich könnte nicht noch einen Tag warten. Ich klemmte mich ans Telefon und rief Necmi an. Ich hatte nicht bloß diese eine Frage im Kopf. Ich wollte auch unbedingt ein paar Probleme besprechen, die in der letzten Nacht aufgetaucht waren, und ich sah in ihm nicht nur den vertrauenswürdigen Freund. Die Auswirkungen dessen, was er in den Jahren unserer Trennung erlebt hatte, die Spuren seiner Vergangenheit, machten ihn in meinen Augen zu einem zuverlässigen ›Strategen‹, der gelernt hatte, sich vielen Herausforderungen zu stellen. Diese Eigenschaft war für mich sehr wertvoll, auch wenn sie nicht dazu geführt hatte, ihn im Laufe der Jahre innerhalb des Systems zum Chef einer erfolgreichen Werbeagentur oder zum Kolumnisten einer bedeutenden Zeitung zu machen. Doch was war schon der sogenannte Erfolg? … Was hatten im Grunde diejenigen erreicht, die, weil sie die Erwartungen erfüllt oder getan hatten, was erwartet wurde, die angesehenen Plätze hatten einnehmen können innerhalb der ›Werte‹, die man neu zu etablieren versucht hatte? … Diese Fragen hatte ich mir oft gestellt. Die Antworten kannte ich inzwischen mehr oder weniger. In jenen Nischen gab es trotz allem auch solche, die sich vor der Beschmutzung hatten bewahren können … Es gab einzelne, die immer noch an die Tugend des Neinsagens glauben konnten … Es gab einzelne, die sich nicht fürchteten, Fragen zu stellen … Und die anderen? … Wenn ich an diese Antworten dachte, sah ich Necmi vor mir als einen Menschen, der
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