Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
Unbedingt … Du wirst sehen, wahrscheinlich wird sie noch wacher. Also wenn du mich fragst, dann wird sie ganz bestimmt wacher werden. Und was kann schon passieren? … Wenn wir es versauen, dann versauen wir's halt, Mensch! … Spielen wir etwa um den Afife-Jale-Preis 21 oder was? … Wir haben sowieso kein Kunstwerk verfaßt. Das war gar nicht die Absicht … Selbst damals nicht …«
Freilich nicht. Wieder konnte ich nur einer Meinung mit ihm sein. Wir wollten noch ein weiteres Mal zusammenkommen und sowohl diese Gemeinschaft als auch etwas Historisches erleben. Wir wollten das ›Stück‹ dieses Mal auch als ein anderes Spiel erleben. So einfach war das. Zudem hatten wir inzwischen so viel Lebenserfahrung, daß wir noch echter spielen konnten.
Im Grunde dachten wir nicht so sehr über den Platz von Şebnem in dem Stück als vielmehr über ihren Platz in unserem Leben nach. Die Ereignisse hatten uns soweit gebracht … Ja, darum ging es. Es war an der Zeit, die Frage anzuschneiden. Wenn ich es jetzt nicht tat, dann mußte ich es schließlich ein andermal tun. Darum tat ich, was ich konnte.
»Als du sagtest, ich dächte an Şebnem, da hast du verstanden, was ich sagen wollte, oder?«
Er nickte schweigend. Ich konnte etwas weiter gehen.
»Ich bin ziemlich durcheinander, Bruder … Zum einen ist da das, was wir erleben durften … Schau, wir haben das Mädel bis zu einem bestimmten Punkt gebracht … Jetzt spricht sie, kehrt ins Leben zurück … Gut, und was wird danach sein? … Nachdem sie nun in dieser Weise zu uns zurückgekehrt ist, ist es irgendwie unmöglich, daß sie dort bleibt, aber daß sie nicht dort bleibt ebenso … Und außerdem …«
Ich verstummte. Denn als ich angefangen hatte zu reden, hatte er sein schweigendes, ernsthaftes Vor-sich-hin-Blicken aufgegeben und leicht zu lächeln begonnen. Das war der Grund, weshalb ich stockte. Dieses Lächeln konnte dermaßen viel bedeuten, es konnte so viele neue Fragen mit sich bringen … Ich war in dem Moment nicht in der Lage, die Möglichkeiten auszudenken. Und auch nicht zu fragen, warum er so lächelte … Denn ich wollte ihm ein Gefühl mitteilen. Ein Gefühl, von dem ich wollte, daß er es spürte … Sein Lächeln störte mich aber. Denn ich fühlte mich nicht richtig ernst genommen. Warum fühlte ich mich so? … Um das zu erklären, hätte ich in meine Vergangenheit zurückgehen müssen. In jenem Augenblick konnte ich auch diese Frage nicht stellen. Das war es, was ich fühlte, und mir gefiel mein Zustand überhaupt nicht. Vielleicht war die einzige Möglichkeit, mich zu retten, mich aus der Klemme zu ziehen, mehr zu erzählen, mich mehr zu öffnen. Deswegen fuhr ich fort. Wobei ich wieder nicht wußte, was ich wie sagen sollte. So daß ich eine weitere Blöße in Kauf nahm.
»Und außerdem … Also ich frage mich, warum ich das alles gewollt, auf mich genommen habe … Ich frage mich das häufig. Um der Freundschaft willen? … Vielleicht. Aber, auch du weißt, dermaßen weit geht die sicher nicht. Junge, ich habe Çela niemals so richtig ernsthaft betrogen, weißt du. Ich habe nie das Bedürfnis gehabt, sie zu betrügen. Na gut, ab und zu habe ich wie viele verheiratete Männer von einer anderen Liebe geträumt. Aber ehrlich, so eine ist mir weder begegnet, noch habe mich darum bemüht. Vielleicht habe ich mich auch, ohne es zu merken, vor der Liebe verschlossen. Jetzt aber … Jetzt passiert etwas anderes … Vielleicht ist das nicht eine derartige Liebe, aber etwas sehr Erschütterndes … Etwas, das ich nicht einmal näher bezeichnen will … Also, ich weiß nicht, vielleicht läßt sich durch das, was ich erlebt habe, erklären, warum ich mich seit Jahren der Liebe verschlossen habe … Vielleicht wollte ich keine andere Liebe mehr …«
Was ich da sagte, klang wie ein verspätetes Bekenntnis. Ein Bekenntnis, das ich bis dahin nicht von mir erwartet hatte … Was erwartete ich denn dann von diesem Bekenntnis? … Wen suchte ich? … Was suchte ich? …
»Wir beide wissen, was du gesucht hast …«
Während er das sagte, faßte er meinen Arm und drückte ihn. Ich spürte wieder seine Nähe, seine Freundschaft, seine Vertrauenswürdigkeit. Dabei blieb es nicht. Wir gelangten an einen sehr sensiblen Punkt, der uns noch einmal unseren Wahrheiten aussetzen, uns mit ihnen konfrontieren sollte.
»Jene Şebnem von früher gibt es nicht mehr … Sie ist längst verschwunden, weit fort … Genauso wie unser damaliger Enthusiasmus … Nun
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