Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
mich. Es beruhigte mich zu glauben, ich könnte sie von den Gefahren, dem Unheil fernhalten. Dazu kam noch, daß ich zunehmend immer härter werden, meine Empfindsamkeit immer mehr in mir vergraben mußte. Das war eine der unausweichlichen Realitäten des revolutionären Kampfes. Auf diese Weise zwang uns die übernommene Verantwortung zu einer entschlossenen Fortführung des Kampfes. Ihr Dasein hielt meine weiche Seite, die ich nicht immer zeigen konnte, in gewisser Weise lebendig. Das war die geheime Tönung meines Lebens, die geheime Tönung, verstehst du? … Das war für mich außerordentlich wichtig. Freilich konnten wir nicht wissen, was uns dann passieren würde. Wir waren nun auf einem Weg ohne Umkehr. Ihre Besorgnis wuchs zwar ständig, doch sie sagte, sie wolle trotzdem bei mir bleiben. Und sie blieb … Bis zum Putsch. Jene Tage waren schrecklich. Wir alle befanden uns in der Finsternis. Ich faßte einen Entschluß. Einen Entschluß, den ich nicht gerne faßte, der aber notwendig war. Unsere Wege mußten sich trennen. Ich konnte jederzeit geschnappt werden. Ich würde es nicht ertragen, sie noch weiter mit hineinzuziehen. Ich hatte sie sowieso schon so weit mit hineingezogen. Ich teilte ihr meinen Entschluß mit. Wir wollten uns auf verschiedenen Wegen nach Istanbul durchschlagen. Sie war dagegen, wehrte sich sehr und sagte, sie könne mich nicht allein lassen. Wir sollten soweit wie möglich gemeinsam gehen. Doch ich setzte mich durch. Zuletzt überzeugte ich sie. Wenn sich das Ganze beruhigt hätte, würde ich sie schon irgendwie finden. Ich wisse nicht, wie lange diese Trennung dauern würde, aber ich würde mich ganz sicher, sobald es ging, mit ihr in Verbindung setzen. Auch wenn ich ins Ausland gehen müßte, würde ich es irgendwie möglich machen, sie nachzuholen. Stell dir nun vor, wie wir uns trennten. Ich wollte mir nicht einmal vorstellen, was sie fühlte. Wir führten inzwischen einen Kampf ums Überleben. Was danach kam, weißt du. Es war genau so, wie ich es dir erzählt habe. Wie ich bei der Familie der Sympathisanten gelebt habe, wie ich meine Mutter besucht habe und verhaftet wurde, wie ich bei den Verhören standhaft geblieben bin … Standhaft bleiben bei den Verhören … Dabei habe ich erlebt, was ich dir in Wahrheit nicht genau habe erzählen können. Ich … Ich habe das keinem Menschen je erzählen können. Nach Jahren erzähle ich es dir jetzt … Dir als erstem … Soweit ich es nun erzählen kann … Ich bin standhaft geblieben. Wir hatten einander aus den Augen verloren. Der Gedanke, sie gerettet zu haben, gab mir Kraft. Du hast mich ja gefragt, wann ich am verzweifeltsten gewesen sei … Meine Antwort damals war richtig. Es hat nur eine Ausnahme gegeben … Und das war eine wichtige Ausnahme … Ich war nahe daran gewesen, dir davon zu erzählen. Im letzten Moment habe ich es aber nicht getan. Ich hatte Angst, ich könnte es nicht erzählen. Jenes Fehlende … Weißt du, was das war? … Ich bin beim Verhör nicht weich geworden. Doch dann eines Tages … Eines Tages stellten sie mich ihr gegenüber. Sie hatten sie ebenfalls eingebuchtet. Mit welcher Begründung, warum? … Es hat keinen Sinn, danach zu fragen. In der damaligen Zeit galten die Gesetze nur auf dem Papier. Sie sagten: ›Mal sehen, wie du das aushältst … Schauen wir mal, ob du jetzt nicht auspackst.‹ Und dann haben sie ihr in meinem Beisein die Elektroden an die Zehen gelegt. Ich wußte, was sie durchmachte. Als sie zu mir gebracht wurde, schaute sie mit ihren großen Augen und schüttelte den Kopf. Wer weiß, was sie sagen wollte. Einen Moment lang dachte ich, jetzt bin ich am Ende, jetzt bin ich wirklich ans Ende des Weges gelangt. Doch dann … Weißt du, was ich dann getan habe? … Ich habe nicht geredet, nicht ein Wort ist aus meinem Mund gekommen. Ich habe den Kopf gesenkt und die Augen zugemacht. Meine Ohren konnte ich nicht verschließen, denn mir waren die Hände gefesselt. Meine Hände waren gefesselt. Gefesselt in jeder Hinsicht … Ich habe nicht gesprochen, verstehst du? … Ich habe nichts gesagt … Aber auch sie hat nichts gesagt. Als ich zwischendurch die Augen öffnete, sah ich, daß sie mich schmerzerfüllt anschaute. Schmerzerfüllt, hilflos … Was fühlte sie? … Was erwartete sie von mir? … Ich wußte es nicht. Das einzige, was ich wußte, war, daß ich nicht auf das Spiel von ›denen‹ eingehen wollte. Dann hörten sie auf. Sie fiel in Ohnmacht. Sie schleiften sie hinaus …
Weitere Kostenlose Bücher