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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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gerne hören würde. Ich fragte, um besser zu verstehen und mich soweit wie möglich mit unserer Realität auseinanderzusetzen …
    »Wieso bloß hast du diese Brandgeschichte erfunden? …«
    Er lächelte bitter. Als bereite er sich auf ein neues Bekenntnis vor.
    »Denk mal an die erste Nacht hier, als wir so lange geredet haben … Als ich allein war, bin ich alles, was wir erlebt hatten, noch mal durchgegangen. Ich habe nachgedacht, intensiv nachgedacht. Was wir dir, mir, uns gegenseitig angetan haben … Was für ein Leben wir geführt haben … Du warst so unschuldig und aufrichtig … Dein Wiederauftauchen und daß du mich so begeistert aufs neue gesucht hast, war auch für uns drei eine große Chance. In jeder Hinsicht eine große Chance … Nur du, Isi, konntest sie ins Leben zurückbringen … Deine reine Liebe konnte sie zurückbringen … Ich war mir sicher, sie würde sich dieser Liebe überlassen. Du hattest eine Kraft, die dir selbst nicht bewußt war. Wir sind sehr beschmutzt, sehr beschädigt. Hätte ich dir damals an jenem Morgen die Geschichte erzählt, die ich dir heute erzählt habe, dann wäre womöglich dein Enthusiasmus zerbrochen. Du hättest dich vielleicht betrogen gefühlt und uns abgelehnt. Du siehst es ja nun … Wir sind alle nicht untadelig. Alle haben wir unsere niederträchtigen Seiten. Doch ich habe mich nicht geirrt, wie du siehst. Sie ist zurückgekehrt, weil sie die Unschuld, Lauterkeit in dir gesehen hat; sie hat ihre Stummheit aufgegeben. Ich konnte mich dir gegenüber nicht anders verhalten. Das ist der Grund, weshalb ich mich in den Tagen, als du zum Krankenhaus gingst, ferngehalten habe. Vielleicht bist du nun noch wütender auf mich. Du kannst dich betrogen, benutzt fühlen, was weiß ich. Aber vielleicht … Vielleicht kannst du dich auch für sehr wertgeschätzt ansehen. Insbesondere von seiten Şebnems …«
    Fühlte ich mich wirklich benutzt? … In jenem Augenblick konnte ich diese Frage nicht beantworten. Ich fühlte nur, daß ich niemandem böse sein konnte. Und außerdem … Außerdem konnte mich diese Geschichte in den folgenden Jahren nur noch mehr ans Leben binden. Ich hatte gesehen, was für eine Kraft ich hatte … Das Leben von uns dreien, das Schicksal, das uns miteinander verband … Wie viele Menschen auf der Welt konnten schon so eine Geschichte erleben? … Mir gegenüber saß ein Mann, der mir eine der finstersten Seiten seiner Vergangenheit gezeigt hatte. Ich wollte nicht richten über das, was seine Finsternis anderen angetan hatte. Zudem verlieh mir seine Schwäche Kraft. Und außerdem gab es etwas, das viel wichtiger war. Die Liebe, die ich zu ihm empfand … Und zu sehen, wie sehr er mich wertschätzte … Ich nahm seine Hand und sagte ihm, daß ich ihm nicht böse sei. Natürlich sei ich etwas gekränkt. Es gebe an unterschiedlichen Stellen viele Bilder für die Gründe dieser Gekränktheit. Ich fühle mich auch ein wenig hintergangen. Aber in meinen Gefühlen sei kein Zorn. Seien wir schließlich nicht alle verwundet genug, um zu wissen, niemand würde aus diesen Leiden ganz unversehrt hervorgehen? … Man könne über das, was wir erlebt hatten, denken, was man wolle. Wir wüßten ja, wer wir seien und was wir füreinander bedeuteten … Er drückte meine Hand und antwortete auf meine Worte, manche Beziehung zu leben sei schmerzhafter, als sie nicht zu leben. Ich verstand. Ich konnte nicht näher darauf eingehen. Ich nickte nur, schluckte und schwieg. Ich hatte gesagt, was ich sagen konnte. Ich wußte sowieso nicht mehr, was ich sagen wollte …
    Mit diesen Gefühlen erhoben wir uns vom Tisch. Es gab für uns noch eine weitere Geschichte … Ich fühlte auch, das Spiel war noch nicht zu Ende und würde uns zu unbekannten anderen Wirklichkeiten hinziehen. Trotzdem war ich innerlich ruhig. Es war eine Ruhe, wie ich sie seit Jahren nicht verspürt hatte … Ich war mir sicher, auch ihm erging es so. Wenn wir gewußt hätten, was wir noch erleben sollten, wären wir sicherlich nicht so ruhig gewesen. Doch ich wußte, uns würde von nun an so leicht nichts trennen können. Daran hielt ich nach dem, was mir diese Erzählung eröffnet hatte, für uns beide aus ganzer Seele fest. Wir näherten uns nun einer Zeit, wo wir jeden verpaßten Augenblick noch viel mehr bedauern sollten …

Um nicht mehr zu sterben und aufs neue geboren zu werden
    Von da an ließ uns die Erzählung erschütternde Momente und Berührungen erleben, die uns aufs neue noch

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