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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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Als sie die Tür zumachten, hörte ich, wie einer von ihnen sagte: ›Gratuliere, der Kerl hat sich wirklich gut gehalten.‹ Vielleicht war auch das nur eins von ihren Spielchen. Es schien nicht so, aber man konnte trotzdem nie wissen. Das war sowieso nicht mehr wichtig. Was hatte ich von so einer Respektsbezeugung, nachdem ich auch das noch erlebt hatte? … In dem Augenblick war mir zum Sterben, oder besser, ich wollte sterben … In dem Augenblick wollte ich härter gefoltert werden denn je seit meiner Einlieferung. So eine Folter hätte mich sogar glücklich gemacht … Doch damit war Schluß. Danach befaßten sie sich nicht mehr mit mir. Über Şebnems Schicksal konnte ich jedoch trotz aller Bemühungen nichts herausfinden. Ich wollte nicht einmal denken, daß sie gestorben sein konnte. Ich sagte mir ständig, sie lebt, sie lebt ganz sicher, und sei es ihnen zum Trotz. Ich wußte, ich hatte noch Jahre bis zu meiner Entlassung. Vielleicht kam ich auch nie wieder raus. So vergingen Tage, Monate, Jahre … Doch jener Anblick verfolgte mich ständig wie ein Alptraum. Ich habe dir erzählt, was ich bei meiner Entlassung gefühlt habe. Sicher fragst du dich, was sich jeder fragen würde. Diese Frage wird wahrscheinlich jedem einfallen, der diese Erzählung hört. Hast du nach Şebnem gesucht? … Ich habe sie gesucht, und zwar in jeder Hinsicht … Doch würdest du es glauben, wenn ich dir sagte, ich suchte, um nicht zu finden, oder ich suchte voller Angst vor dem Finden? … Macht eine solche Suche überhaupt einen Sinn? … Vielleicht habe ich ihre Spur auch nicht ausreichend verfolgt. Der Kreis der Genossen ist klein. Noch immer. Heutzutage ist er noch kleiner geworden. Denn viele von uns haben ihre Spuren verwischt und tun es heute noch. Weil sie darum kämpfen, ein neues Leben zu begründen … Weil sie nicht zu jenen alten Tagen zurückkehren wollen … Ich beschuldige sie nicht, bin ihnen nicht böse, sondern versuche, sie zu verstehen. Na ja, egal. Ich will folgendes sagen: Hätte ich meine Verbindungen wirklich spielen lassen, dann hätte ich sie gefunden, unbedingt, daran zweifle ich nicht. Was aber, wenn ich sie gefunden hätte? … Damals fühlte ich mich derart schwach … Ich hatte nichts mehr, buchstäblich … Was hätte ich ihr geben können? … Wenn du verstehst, ich wollte nicht in diesem Zustand vor sie hintreten. Genauso wie ich auch dir nicht begegnen wollte … Vielleicht kämpfte sie ebenfalls um ihr neues Leben, vielleicht wollte sie das Erlebte vergessen. Vielleicht hatte sie sich sogar ein Leben aufgebaut, in dem sie mich nicht sehen wollte. Ich hätte es nicht ertragen, als Last empfunden zu werden. Außerdem hatte ich ihr versprochen, nach ihr zu suchen, wenn die Lage sich beruhigt hätte. Die Lage hatte sich für mich jedoch noch nicht beruhigt … Natürlich war ein Teil meiner Existenz bei ihr geblieben. Insbesondere nach dieser letzten Begegnung … Dennoch traute ich mich nicht, weiter vorzudringen. Auch in meinem Entschluß, nach Griechenland zu gehen, muß man ein Ausweichen sehen. Diese Wahrheit habe ich erst Jahre später erkannt. Zur selben Zeit, als ich eine andere Wahrheit erkannt habe … Ira war ein Haltepunkt, ein vorübergehender Halt … Uns beiden war bewußt, was wir erlebten. Aber Nihal … Was glaubst du, warum ich unsere Beziehung nicht bis zu Ende weiterführen konnte? … Weil Şebnem immer eine Möglichkeit war … Immer eine Möglichkeit … Und wenn sie auf mich wartete? … Ich ließ mich von ihrem lautlosen Appell gefangennehmen. So vergingen Jahre. Damals habe ich die Wahrheit über mich nicht in dieser Klarheit sehen können. Doch das Gefühl war da. Ohne es zu bemerken, näherte ich mich auch ihr immer mehr … Dann eines Tages … Man sagt ja, unser Leben besteht manchmal aus Zufällen, aus schicksalhaften Begegnungen. Ich tat mein möglichstes, um den Schmerz zu vergessen, in den ich mich vergraben hatte, genauer gesagt, ich klammerte mich durch Vergessen ans Leben, wollte mich aber zugleich nicht verleugnen. Eine neue Partei wurde gegründet. Sie fanden mich und wollten, daß ich mitmachte. Ich verweigerte mich nicht und ging hin. Einerseits weil ich einen neuen Anstoß erleben und andererseits weil ich auch sehen wollte, wer alles auf welche Weise übriggeblieben war. Ich fand viel mehr, als ich erwartet hatte. Einer von unseren alten Kampfgenossen, der über unsere damalige Zeit sehr gut Bescheid wußte und dem ich nun nach Jahren wieder begegnete,

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