Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
ich sie sehr vermißte … Doch in jener Nacht war genau das die Wahrheit … Dann brachen wir auf und liefen noch etwas Hand in Hand. Danach brachte ich sie nach Hause. Im Auto meines Vaters … Als wir uns ihrem Haus näherten, forderte sie mich auf, irgendwo anzuhalten, und ich hielt an. Sie sagte, sie wolle mich ein letztes Mal küssen, und wir küßten uns. Sie sagte auch, sie glaube, ich werde in Zukunft einmal ein sehr schönes Auto besitzen und werde kommen und sie in diesem Auto abholen. In Zukunft, nachdem vielleicht viele Jahre vergangen sein würden und wir uns selbst besser kannten … Sie wußte von meinen Gefühlen in bezug auf Autos. Ich hatte auch ihr meine Geschichte erzählt. Und zwar lange vor jener Nacht … Wenn sie sich daran erinnerte, zeigte das etwa nicht, daß ich in ihrem Leben einen viel wichtigeren Platz einnahm, als ich gemeint hatte?
Auf der Fahrt, die uns zu einem Wiedersehen mit ihr bringen sollte, war es natürlich unvermeidlich, sich an jene Nacht vor so vielen Jahren zu erinnern. Der Schmerz, den ich jahrelang verborgen, den ich meistens sogar vor mir selbst versteckt hatte, brannte erneut in mir, auch wenn es mir gelungen war, ihn im Laufe der Zeit ein wenig zu löschen. Ich wollte Necmi von diesem Schmerz erzählen, doch es gelang mir nicht. Ich hatte ihm von jener Nacht sowieso nichts erzählt. Ich wußte auch nicht, ob ich das eines Tages schaffen würde.
Sicherlich konnte ich mir aber auf jener Fahrt selbst viele Fragen stellen, die jene Nacht und andere aus ihr hervorgegangene Nächte betrafen. Doch seine Frage verhinderte viele andere Fragen und genügte, mich augenblicks zu unserer Fahrt zurückzubringen.
»Du warst auch in sie verliebt, nicht wahr? …«
Wieviel Zeit war inzwischen vergangen? Wie lange war ich versunken gewesen in dieser Erzählung, von der ich geglaubt hatte, sie sei in einem ganz anderen Leben geblieben, ich hätte sie in einer weit zurückliegenden Vergangenheit vergraben? Ich fühlte mich wie bei etwas Unrechtem ertappt. Das Gefühl war so stark, daß ich nicht einmal über das ›auch‹ in der Frage hinreichend nachdenken konnte. Es war sinnlos, mich zu verstecken, und für das, was ich so lange nicht hatte sagen können, genau der richtige Zeitpunkt.
»Das konnte ich dir irgendwie nicht erzählen. Ich weiß eigentlich nicht, warum …«
Er unterbrach mich plötzlich. Ich sollte später erkennen, daß er mir nicht so sehr ein Bekenntnis ersparen als vielmehr selbst eine Erklärung abgeben wollte, indem er anfing, seine Geschichte zu erzählen. Ich mußte eine weitere Erzählung anhören. Dieses Mal ging es aber auch um Şebnem … Und zwar in Bildern, die ich nie erwartet hätte. Der Anfangssatz war wirkungsvoll und provokativ genug.
»Du warst nämlich nicht der einzige, der von ihr beeindruckt war …«
Es war nicht schwierig, von diesen Worten her zu einem Ergebnis zu gelangen und gewisse Verbindungen herzustellen, und auch zu spüren, daß das, was er zu sagen versuchen würde, mir Şebnem noch näher bringen, mir von einer fern gebliebenen Erzählung Nachricht geben würde … Meine Hände lagen auf dem Lenkrad. Ich schaute ihn mit unverhohlenem Erstaunen an. Auch er schaute mich an. Dann wendeten wir uns beide wieder der Fahrbahn zu. Uns verband also noch ein anderes Schicksal. Ich dachte auch im Zusammenhang mit meinen Erlebnissen mit Şebnem an das Schicksal. Ich konnte der Frage nicht ausweichen, was gewesen wäre, wenn ich in jener Nacht jenen Schritt getan hätte, ihn hätte tun können: Hätte sich unser Leben wirklich verändert? … Wäre Şebnem trotz all ihrer Begeisterung und Erwartungen von ihrem Weg abgewichen? … Ich war im Fahrwasser eines alten ›ach wenn doch‹ und mußte mich wieder einmal herumschlagen mit dieser wohlbekannten Unzulänglichkeit.
Inzwischen waren wir beim Krankenhaus angekommen. Ich war einer Wirklichkeit nahe, vor der ich jahrelang geflohen war, die ich mit Phantasien gespeist hatte. Diese Wirklichkeit konnte mir ein sehr erbarmungsloses Gesicht zeigen. Es fiel mir schwer, auch nur mir selbst meine Gefühle einzugestehen. Denn in der Realität, die ich berühren, ertragen sollte, verbarg sich eine Vergangenheit, atmete die Spur von etwas, das nicht hatte gelebt werden können. Deswegen erfüllte mich weiterer Schmerz.
Nachdem wir den Wagen geparkt hatten, schritten wir wortlos dahin. Offensichtlich wollten wir beide nicht zuviel reden … Nach einer Weile waren wir auf dem Weg, der zur Station
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