Wo wir uns finden
sagt er.
Ich würde sie gerne sehen, sagt sie.
Meine Frau hat viel fotografiert, sagt er, als sie das Bild von ihm betrachtet, im Feinrippunterhemd lehnt er an einem Alfa Romeo mit Weißwandreifen, die Abendsonne färbt den Himmel hinter ihm rot.
Da sehen Sie sehr glücklich aus, sagt sie, legt den Rahmen weg und betrachtet ein Foto von meiner Erstkommunion. Mein Vater und ich sind darauf zu sehen, keine Patentante, kein Patenonkel. Sie lächelt. Geht die Bilder durch, auf denen immer nur wir zwei zu sehen sind, ich werde größer und älter, mein Vater verändert sich kaum – bis sie beim letzten Foto angekommen ist, der Rahmen ist abgegriffen und schmutzig, Fingerabdrücke sind auf dem Glas. Sie starrt meine Mutter an: Sie muss aber noch jung gewesen sein, sagt sie, und mein Vater nickt.
Wie ist sie denn? fragt sie.
Bei seiner Geburt, sagt er.
Ihr Sohn sieht ihr sehr ähnlich, sagt sie.
Zum Glück, sagt er.
Und die Ärzte konnten nichts machen? fragt sie.
Mein Vater schweigt und sieht aus dem Fenster, er blinzelt in die Helligkeit.
Hatten Sie jemals Freunde, die Männer waren? fragt er: also, Freundschaften.
Mein Mann ist auch ein Freund, sagt sie.
Nicht so, sagt er: normal als Freund.
Sie nickt.
Meine Frau, sagt er und stockt: die sind schuld, dass sie gestorben ist.
Ihre Freunde? fragt sie.
Er nickt und steht auf: Sie wollen mich doch immer fahren.
Sie finden Klobbes Adresse nicht gleich. Es ist ein von Efeu zugewachsenes Kniestock-Haus gegenüber dem Rottensoler Friedhof. Die Straße ist verkehrsberuhigt. Der Vorgarten ist gepflegt, Rosen blühen. Ein roter Nissan steht davor. Mein Vater steigt nicht aus dem Wagen, kneift die Augen zusammen, um hinter dem Wohnzimmerfenster etwas zu erkennen, und kann den Schemen eines Langhaarigen ausmachen, der sich vom Sofa erhebt und langsam ans Fenster tritt, wo sich sein Gesicht aus der Vergangenheit schält, als hätte es hier auf ihn gewartet. Sein Mund bewegt sich, und mein Vater versucht, von seinen Lippen zu lesen, was ihm nicht gelingt.
Du brauchst mir nix erzählen, sagt mein Vater: ich weiß alles.
Ans Fenster tritt jetzt auch eine Frau, und Klobbe zeigt mit dem Finger auf Theresas SUV , und die Frau schüttelt den Kopf und entfernt sich wieder. Klobbe und mein Vater aber starren einander weiter an, als könnten sie nicht glauben, was sie da sehen.
Siehst du den? sagt mein Vater: siehst du den Kerl?
Theresa schweigt und schließt die Augen. Sie atmet aus und schlägt die Augen wieder auf und fragt: Wer ist das?
ZWEI
A us der Entfernung sah er Grams zu, wie der sich eine Zigarette drehte, den Überschuss von der Kippe zupfte und sie anbrannte. Karl saß auf der gegenüberliegenden Seite des Rathausplatzes. Das Päckchen Schwarzer Krauser hatte er sich gekauft, nachdem er ihn bei Grams aus der Brusttasche der Jeanskutte hatte ragen sehen, als der an seine Schule gekommen war letzten Monat. Mittlerweile war der Tabak vertrocknet und zerbröselte, wollte er sich eine drehen. Der Rauch tat ihm im Hals und in der Lunge weh. Aber er drehte die nächste Zigarette, die er mehr faltete und in der nur wenig Tabak blieb. Er hoffte, dass Grams sah, wie er rauchte, dass er bemerkte, wie lang seine Haare im Nacken waren, den AC/DC- Schriftzug an der Brusttasche seiner Jeansjacke. Karl hatte den Aufnäher seinem Bruder abgekauft: dessen Kadett hatte er waschen und aussaugen müssen – drei Samstage hintereinander. Es hatte sich gelohnt. Jeden Abend – lag er im Bett in seinem eingerichteten Kellerverschlag – betrachtete er den metallisch roten Faden, mit dem der Bandname eingestickt war auf schwarzem gewachstem Filz. Noch nie hatte er etwas Schöneres besessen. Wie eine magische Eintrittskarte war ihm der Aufnäher anfangs erschienen, der ihm Aufnahme verschaffen konnte in die Welt derer, die sich wie ein Rudel Hunde in der Ecke des Hofs der Berufsschule drängten während der Pausen, sich mit einer schnellen Kopfbewegung die ungeschnittenen Haare aus dem Gesicht warfen beim Läuten der Schulglocke und anschließend ihren Geruch – eine Mischung aus Sperma, Schweiß und sauer gewordenem Weizenbier – auf die unterschiedlichen Klassenzimmer verteilten, wo den Maurer-, Klempner- und Malerlehrlingen die nötige Theorie beigebracht werden sollte. Ein Wissen, das sie sich am Abend im Donnerhügel wieder aus dem Kopf soffen, um ihrem Lehrmeister am nächsten Tag mit gutem Gewissen sagen zu können, sie hätten fast nichts gelernt in der Berufsschule. Aber
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