Wo wir uns finden
ist sein Name, nicht Vogel!
Ist das keiner von deinen Internatsheinis? fragte Köter.
Der ist bei mir in der Klasse, sagte Grams: ist so alt wie ich.
Na dann, sagte Köter.
Ich war mal mit einem Freund vom Internat hier, sagte Grams: der war vierzehn damals.
Er prostete der Frau zu, die den Queue jetzt zwischen ihren Schenkeln rieb und sich die Lippen leckte – sie lächelte, und Grams sagte: Ich hab meine Eltern gefragt, ob sie mich aufs Internat schicken, als ich zehn war, und für die war das gleich okay.
Der Donnerhügel hatte immer geöffnet. Und immer stand Köter hinter dem Tresen. Und immer war es zu laut im Donnerhügel, keiner sprach, alle schrien. »Heavy Metal Thunder«, stand auf einem Schild über dem Tresen, und Karl machte den Fehler, sich einen »Elfmeter« spendieren zu lassen, und wie alle vor ihm rannte er die elf Meter zum Klo, nachdem er ihn gekippt hatte, um nicht in die Kneipe zu kotzen. Karl trank mit der Frau mit Queue, den sie mitbrachte zur Selbstverteidigung, wie sie behauptete, er drehte oder faltete Zigaretten für den Sägewerks-Sepp, der an jeder Hand nur noch zwei Finger hatte, die er sich beim Fingerhakeln regelmäßig auskugelte. Der einäugige Charly warf sein Glasauge in Karls Bier und fragte, ob er das noch trinken wolle, und Karl freute sich morgens nach dem Aufstehen bereits auf den Abend im Donnerhügel. Aber auf den Nachhausewegen in den Nächten, wenn Karl noch immer den Rest der Welt vergessen hatte, sagte Grams: Die Trottel da drin – versaufen das wenige Hirn, das sie haben, und denken, sie wären was.
Und dann, nachdem Karl und Grams seit zwei Monaten befreundet waren, sagte er, als die Tür des Donnerhügels hinter ihnen zugefallen war und den Lärm weggeschlossen hatte: Alles Trottel da drin – nur du und Anna nicht.
Wer ist Anna? fragte Karl.
Meine Zukünftige, sagte Grams und lachte.
In Karls Kopf dröhnten noch die Musik und das Geschrei und die Euphorie einer ahnungslosen Hoffnung auf Unsterblichkeit, sodass er nicht wirklich verstand.
Am nächsten Morgen erinnerte er sich an Grams’ Lächeln, als der den Namen Anna ausgesprochen hatte, und ging in Gedanken alle Annas in der Schule durch und konnte keine ausmachen, die Grams hätte meinen können. Dass sie vielleicht vom Internat war, dachte er noch und griff sich sein Lieblingsheftchen unter der Matratze – das er an niemanden außer an Grams verliehen hatte –, und einen Moment lang vergaß er das nach gekochtem Kohl stinkende, unbeleuchtete Treppenhaus, das ihn trennte von der Wohnung in der zweiten Etage, in der seine Eltern lebten und sein Bruder, der einzig hoffte, dass sein Lohn nach der Ausbildung niedrig genug wäre für das Amt, damit er auch eine von den Sozialwohnungen zugeteilt bekomme, dass er hier in der Siedlung bleiben könne bei den anderen, die nirgendwo hinwollten.
Am Nachmittag kam Grams zu ihm in den Keller, und Karl dachte, er wolle sich ein Pornoheft ausleihen, aber Grams schüttelte den Kopf und sagte, er wolle keins von den Wichsheftchen mehr, das sei wie fremdgehen: Komm heut Abend mit zu mir – dann triffst du Anna.
Karl hatte sich vor Grams geschämt für die kleine Wohnung seiner Eltern, für seinen Kellerverschlag mit den unverputzten Wänden. Grams aber hatte gesagt: dass er es hier schöner finde als bei sich; und Karl hatte ihm geglaubt.
Sie saßen im Keller und rauchten und hörten Musik, das kleine Quadrat wolkenverhangener Himmel im Kellerfenster dunkelte schnell, sie schwiegen, die Zeit verging langsam. Als der Urban aus dem Erdgeschoss an die Tür hämmerte und brüllte, dass Rauchen im Keller verboten sei, fragte Grams, ob denn die Baugenossenschaft wisse von dem Kabel, mit dem er Strom für sich abzapfe von der Gemeinschaftssteckdose im Keller.
Karl hörte, wie sich Urbans Schritte entfernten, die Brandschutztür zuschlug und wieder nur das Ticken der Stromzähler im Keller zurückblieb. Er dachte an die vielen Nächte, in denen er hier gelegen hatte, wenn er voller Angst den roten Schein des Bereitschaftslichts der Heizungsanlage – der durch den Türspalt seines Verschlages fiel – angestarrt und zu dem namenlosen Gott seiner Kindheit gebetet hatte, es möge die Zeit stehen bleiben und der nächste Tag nie kommen; in denen er krampfhaft versuchte, wach zu bleiben, um nicht durch die Ohnmacht des Schlafes so schnell durch die Nacht zu fallen in den nächsten langen Tag. Irgendwann hatte auch der Letzte im Haus sein Licht gelöscht, und das Ticken
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