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Wo wir uns finden

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Titel: Wo wir uns finden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Findeis
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ich meine Zündapp erst hab, dachte er und betrachtete das Poster des Mokicks, das er innen an die Tür seines Verschlags geheftet hatte.
    Jemand betrat den Keller. Susanne vielleicht, dachte er und horchte und hoffte. Aber die Schritte entfernten sich wieder, und Karl blieb allein zurück und das Leben über ihm im Haus; klack-klack machte es irgendwo im Keller. Er legte sich aufs Bett und wartete.
    Grams fehlte. Die Lehrer notierten ihn als abwesend und fragten nicht weiter nach. Die Woche verging ohne ihn, und Karl lernte wieder an den Nachmittagen und machte keine absichtlichen Fehler mehr in seinen Hausaufgaben wie in den vergangenen Wochen. Er meldete sich, wurde aufgerufen und gab die richtigen Antworten. Er sprach mit niemandem in den Pausen, versuchte es auch nicht, setzte sich in die Bibliothek und bemerkte immer erst zu spät, dass er nicht mehr nur dachte, sondern schon mit sich selbst sprach. Bis Grams auf seinem Platz saß, als Karl das Klassenzimmer betrat, und in der Pause zu ihm kam und fragte, ob er nicht mehr auf dem Rathausplatz rumhänge, und ihn um eine Zigarette bat. Karl gab ihm das Päckchen mit dem bröseligen Tabak und schwieg und überlegte sich eine Antwort, während er Grams beobachtete, der die Zigarette drehte, den Tabak wieder verschloss und zurückgab, auf eine Beule in der Mitte der fertigen Kippe zeigte und sagte: Mit Nikotinstopp.
    Bringt das was? fragte Karl.
    Grams lächelte, strich sich die Haare aus dem Gesicht und sagte: Komm, Klobbe, wir rauchen eine.
    Karl nickte, und nebeneinander gingen sie über den Hof zur Raucherecke. Den Daumen der linken Hand an der Hosentasche eingehakt, blickte er über den Schulhof. Er meinte, dass eine Gruppe Mädchen aus der Stufe unter ihnen herübersah, ihre Blicke wie zufällig immer in seine Richtung fielen – und erkannte die Morawetz am Fenster des Lehrerzimmers, wie sie ihn beobachtete. Grams’ Stimme hörte er unablässig über dem Lärm des Pausenhofs: Dass Zigaretten ohne Filter gesünder seien als die mit Filter, sagte er: weil die Rauchpartikel größer seien und nicht so leicht hängen blieben in der Lunge; und Karl lächelte die Morawetz hinter dem Fenster an, die vielleicht den Kopf schüttelte und aus ihrer Kaffeetasse trank, während Grams weitersprach, von schwarzen Tabaken, die reiner seien, weil unparfümiert, und ihn fragte, was er heute Nachmittag mache.
    Grams nahm Karl mit in den Donnerhügel. Wer hier noch Haare auf dem Kopf hatte, trug sie lang, zumindest im Nacken. Der Wirt nannte sich Köter, hatte eine Träne unter dem Auge tätowiert und kaum noch Zähne im Mund. Die Hells Angels hatten ihr Vereinsheim nebenan und tranken zum Einkaufspreis als Gegenleistung für ihren Schutz. Eine Stahltür führte von der Straße in einen langen, gekachelten Flur, an dessen Decke eine Südstaatenfahne gemalt worden war. »Betteln und hausieren verboten«, stand auf der Stahltür – »Keine Polen, keine Zigeuner«, hatte jemand von Hand daruntergeschrieben. Der eigentliche Eingang zum Donnerhügel war eine Saloon-Tür wie im Western am Ende des Flurs.
    Lumpenpack, hatte Karls Vater gesagt, als sie an der Kneipe vorbeigefahren waren. Karl hatte vom Beifahrersitz aus den Bleifenstern des Donnerhügels nachgeblickt und sich die Gestalten, von denen sein Vater sprach, vorgestellt – die in Häusern wohnten ohne Nachbarn, eine Arbeit hatten ohne Chef, sich nicht an das Tempolimit halten mussten, weil sie einfach nie erwischt wurden.
    Und als Karl hinter Grams durch die Schwingtür den Donnerhügel betrat, war alles ganz anders. Es war dunkel und stickig, und hinten im Eck stand eine Frau auf einem Tisch und schlug mit einem Queue um sich, sie war alt, aber wütend, und niemand schien sich ernsthaft um sie zu kümmern. Einen Billardtisch entdeckte Karl nirgends. Jemand pfiff durch die Finger, Köter drehte die Musik lauter und hievte volle Krüge auf den Tresen, auf dem das Bier schwamm. Er lachte, als er Grams sah – das Zahnfleisch seiner zahllosen Zahnlücken wie Narbengewebe –, und schrie über dem Lärm: Die Hoffnung auf Genuss ist fast so süß als schon erfüllte Hoffnung. Und stellte zwei Bier auf den Tresen und notierte sie auf einem Zettel, bevor er sich zu Karl umdrehte und sagte: Dein Ausweis, du Vogel!
    Karl hatte nur seinen Schülerausweis einstecken und fragte sich, ob es schlimmer sei, sich gar nicht ausweisen zu können oder nur den lächerlichen Pappdeckel ohne Passbild vorzuzeigen, als Grams sagte: Klobbe! Klobbe

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