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Wo wir uns finden

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Titel: Wo wir uns finden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Findeis
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Jägermeister-Flasche. Er rülpste und spuckte vor sich auf den Boden, wo sich eine Pfütze aus Spucke bildete, die sich langsam ausweitete. In der Dunkelheit betrachtete Karl die weißen Schlieren auf der Pfütze, die Kippenstummel, deren Papier sich bräunlich verfärbte. Sie sprachen nicht, tranken abwechselnd aus der Flasche, und Karl begann zu frieren. Im Fenster links neben dem Eingang ging das Licht an. Deutlich erkannte er jetzt das Innere des kleinen Raumes, wahrscheinlich war Grams’ Wandschrank geräumiger – ein Bett, ein Kleiderschrank, ein Spiegel, vor dem Anna mit dem Rücken zu ihnen stand und langsam ihren Pulli über den Kopf zog. Dass sie wisse, dass Grams sie beobachtete, dachte Karl, wie sie ihren Rock fallen ließ und in Unterwäsche vor dem Spiegel stand. Der Einschnitt ihrer Wirbelsäule, ihr Hohlkreuz, ihr runder Hintern. Grams brannte sich eine Zigarette an, ließ die Glut ungeschützt, als gäbe er ihr ein Signal, dass er sie beobachtete. Anna drehte sich nicht um, weiter stand sie mit dem Rücken zum Fenster, öffnete ihren BH und streifte ihren Schlüpfer ab. Wie um Grams noch etwas Zeit zu geben, blieb sie reglos stehen, bevor sie eine Jeans und einen engen Pulli über ihren nackten Körper streifte. Karl sah zu Grams, in dessen Augen sich das beleuchtete Quadrat von Annas Fenster spiegelte. Er bewegte sich nicht, bis das Licht erlosch und sie in der Dunkelheit saßen.
    Als ein weißer Alfa Romeo vor dem Haus hielt, wusste Karl sofort, wer das war: Das ist der Josef Dix, sagte er, mein Bruder kennt den.
    Grams atmete, als bekäme er nicht genug Sauerstoff. Dix blieb in seinem Wagen sitzen. Die Innenbeleuchtung ging an, als er die Fahrertür ein wenig öffnete und sich zum Handschuhfach beugte. Karl konnte erkennen, wie das Hemd um seinen Oberarm und seine Schultern spannte, seine Haut war braun und ledern wie bei Bauarbeitern am Ende des Sommers; dass es aussehe, als habe er keine Augenbrauen, dachte Karl, als Dix sich wieder aufrichtete und im Rückspiegel seine Frisur überprüfte.
    Und sonst? fragte Grams.
    Mein Bruder mit seinem Kadett und der sind mal ein Rennen gefahren, sagte Karl: wer gewonnen hat, weiß ich nicht.
    Grams brannte sich die nächste Zigarette an der alten an. Er inhalierte tief und behielt den Atem ein, rauchte wieder in der hohlen Hand. Als Anna in den Wagen stieg und den Mann auf den Mund küsste, spuckte Grams seine Kippe in den Spuckesee und trank in langen Schlucken vom Jägermeister.
    Das Dröhnen des Sechszylinders, nachdem Dix ihn angelassen hatte. Karl meinte, das Pumpen der Kolben als Vibration in der Erde zu spüren, der Auspuff spie ein wenig Benzin, als er anfuhr. Die Bremslichter des Wagens leuchteten auf, das weiße Heck verschwand um die Ecke.
    Grams hatte Karl einen Umschlag gegeben, als es zur Pause klingelte, hatte seine Sachen gepackt und den Raum verlassen. Anna habe seinen Eltern von ihm erzählt, hatte Grams später in der Raucherecke gesagt: da musst du jetzt durch.
    Die Einladung zu der Matinee war auf Büttenpapier gedruckt, sein Name war falsch geschrieben.
    Von seinem Vater wurde Karl überredet, einen der Anzüge aus seinem Schrank anzuziehen: Zu so was geht man nicht im Jeanskittel, hatte er gesagt und ihm einen Zweireiher rausgelegt mit breitem Revers und ausgestellten Hosenbeinen. Die Mutter hatte ihm die Krawatte gebunden und ihm eine Schachtel Mon Chérie und einen Blumenstrauß mitgegeben, sein Bruder fuhr ihn in seinem Kadett zu den Grams. Es war kalt, der Himmel hing tief, immer wieder prasselten Schauer auf die Windschutzscheibe. Der »Grüne Apfel« des Wunderbaumes über dem Tabak der Reval seines Bruders, der die Melodie des Pink-Floyd-Stückes aus dem Autoradio mitsummte.
    Anna nahm ihm die Schokolade und den Strauß im Flur ab und lächelte, während Frau Grams zu ihnen trat.
    Er stellte sich vor, und Frau Grams roch an den Blumen und sagte, dass sie sich am Abend eine von den Pralinen gönne und wie schön sie es finde, den besten Freund ihres Sohnes endlich kennenzulernen. Sie trug schwere Ohrringe, die ihre Ohrläppchen nach unten zogen, und Karl bemerkte einen sauren Geruch an ihr, wie vergorener Orangensaft. Er schwieg, lächelte und nickte und wurde auch von Grams’ Vater und den Zwillingen begrüßt, die beide das gleiche weiße Rüschenkleid trugen und eine rote Schleife im Haar. Grams’ Vater hatte Mundgeruch, auf seiner dicken Unterlippe glitzerte Speichel. Falls es hier an der Schule wieder nicht klappen

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