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Wo wir uns finden

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Titel: Wo wir uns finden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Findeis
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Müller oder Kelsch oder Tüfekçi. Er klopfte auf die Tischplatte, stand er auf und verließ er das Fischerstüble. Grams schüttelte den Kopf und zeigte auf sein halb volles Glas, blieb Dix auf dem Weg nach draußen neben ihnen an der Theke stehen. Aber sie folgten Dix, sobald er aus der Tür getreten war. Sie beobachteten ihn, wie er einstieg, sie sahen die Hecklichter seines Wagens in der Dunkelheit der Bahnhofsstraße verschwinden. Bis sie ankamen in seiner Straße, brannte hinter dem Badezimmerfenster seiner Wohnung bereits das Licht. Während sie warteten, dass Dix ins Bett ging, dass der matte Schein seiner Nachtkastenlampe erlosch, erzählte Grams von Anna: Wie sie ihm einmal ihre an beiden Waden genau gegenüberliegenden Muttermale gezeigt, sich vorgebeugt hatte mit geschlossenen Beinen und mit den Händen die Waden gegeneinandergedrückt und gesagt hatte: Schau, die können sich küssen; und wie Grams ihre Beine betrachtet hatte und dann ihr Gesicht, in das das Blut gestiegen war, ihr rechtes Auge mit dem Pigmentfleck auf der Iris.
    So was macht die doch nicht, wenn die nix von mir will? sagte er, und Karl hob die Schultern.
    Sie verließen ihren Platz unter Dix’ Wohnung meist gegen halb elf und schritten im Nebel an den Bahngleisen entlang und schwiegen. Gingen sie anschließend noch in den Donnerhügel, bezahlte Grams ihre Getränke. Manchmal schlich sich der einäugige Charly von hinten an sie heran und warf sein Glasauge in eines ihrer Biere.
    Oder Köter erzählte einen seiner Witze: Läuft einer spätabends in Tübingen über die Neckarbrücke und sieht einen Studenten, der in den Fluss kotzt, ruft er ihm zu: So ist’s recht, mein Freund, schön das Arschloch geschont! und lachte und gab ihnen einen Jägermeister aus und sagte: ein edler Geist kennt keine Furcht.
    Sobald man sie in Ruhe ließ, sprach Grams wieder von Anna: Dass sie einmal wandern gegangen sind im Schwarzwald, die ganze Familie ein ganzes Wochenende lang, und er und Anna ließen sich zurückfallen und unterhielten sich über Religion und Gott und den Teufel, und sie sagte, dass er auch an Gott glauben müsse, wenn er an den Teufel glaube – und Grams hatte sie nur noch anstarren können, wie sie von Jesus sprach und der heiligen Muttergottes –, und dass er ihr fast hätte glauben können in dem Moment, als sie auf eine Anhöhe kamen und die Abendsonne durch die Wipfel brach und der Wald zu brennen schien und alles erleuchtet war.
    Sie spielten kein Tischfußball mehr, saßen nur nebeneinander an der Theke, und Grams sprach, und Karl hörte zu und glaubte ihm, wenn er sagte, Anna sei die schönste Frau und dass auch sie merken werde, dass der Dix ein Idiot, dass sie für ihn bestimmt sei.
    Der Herbst brachte frühe Kälte. Karls Kleider, die er über die Lehne des Stuhls neben seinem Bett hängte vor dem Zubettgehen, waren feucht und klamm am Morgen. Die Seiten der Pornohefte unter seinem Bett wellten sich, ihre Oberfläche raute auf, die Bilder verblassten und verloren an Kontrast. Die Jungs aus der Nachbarschaft beschwerten sich, dass die Details nicht mehr so gut zu erkennen seien, und wollten weniger zahlen; oder kamen nicht mehr zu ihm in den Keller. Wenn er morgens aufwachte, betrachtete er die Südstaatenfahne, die mit doppelseitigem Klebeband an dem nackten Waschbeton der Decke befestigt war. Grams hatte bei einer Klassenfahrt nach Stuttgart zwei Fahnen in einem Laden in der Klett-Passage gekauft und ihm eine geschenkt, als sie in Gefrieß angekommen waren: Dass du’s dir ein bisschen wohnlicher machst, hatte er gesagt, sich umgedreht und war nach Hause gegangen. Karl starrte die Fahne an, dachte an Amerika und unendlich gerade Highways, Canyons, Wüsten, Wildpferde, reizte die Zeit aus, die er liegen bleiben konnte, bis er sich anzog und hoch in die Wohnung und ins Bad ging.
    Seine Mutter hatte ihm zwei Decken extra gegeben, ihm auch angeboten, wieder in sein altes Zimmer zu ziehen: Dein Bruder wird sich schon damit abfinden, hatte sie gesagt und Creme in ihren Händen verrieben.
    Dass ich mich aber nicht damit abfinden könnte, hatte er gedacht und geschwiegen, auf die geschlossene Zimmertür gestarrt – an der das Poster eines C-Kadetts hing –, hinter der er sechzehn Jahre die Nächte mit seinem Bruder im Stockbett über sich verbracht, ihn gefragt hatte anfangs, wenn der wichste und stöhnte, ob er krank sei oder Schmerzen habe, und nicht verstanden hatte, warum er ihn anschrie: Halt dein blödes Maul!
    Ich kauf

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