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Wo wir uns finden

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Titel: Wo wir uns finden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Findeis
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Straße, das abseits der anderen am Ortsausgang lag; der Dachstuhl hing durch, die Fensterrahmen waren morsch, unter dem abgebröckelten Putz ragte an manchen Stellen mit Lehm vermischtes Heu hervor. Dix schob in einer Schubkarre Schutt aus dem Inneren und warf ihn in einen Container. Langsam fuhr Karl weiter, sah Dix wieder in dem schmalen, dunklen Flur verschwinden und dachte: Da gibt’s auch schnell mal einen Kabelbrand, bei so alten Häusern.
    Die Zwillinge liefen hin und her und brachten Anna immer mehr Abschiedsgeschenke, die sie alle ablehnte und sagte, sie ziehe ja nur um die Ecke: Ihr könnt mich immer besuchen.
    Karl war um zwei gekommen, wie verabredet, um Anna bei ihrem Umzug zu helfen, aber Grams war nicht da. Sein Vater hatte ihm geöffnet und gesagt, er wisse nicht, wo Frank sei, in seinem Zimmer wahrscheinlich.
    Dort fand er ihn nicht. Auch nicht in dem Versteck im Gebüsch gegenüber. Karl rauchte vor der Haustür und sah hoch zu Grams’ Zimmer, in dessen Fenstern sich der bedeckte Himmel spiegelte. Freitags kam immer die Putzfrau zu den Grams, einmal im Monat machte sie die Fenster. Das war gestern gewesen. Nachdem er fertig geraucht hatte, bat ihn Anna, anzufangen, sie seien später bei Josefs Mutter zum Essen; dass Josef Frank auch eingeladen habe, sagte sie: aber der hat anscheinend was Wichtiges vor – weißt du, was genau? fragte sie.
    Karl betrat zum ersten Mal ihr Zimmer, und er fragte sich, wie oft Grams nachts vor der Tür des Raumes gestanden habe, die Hand an der Klinke, erfüllt von der Sehnsucht nach ihrer Wärme, ihrem Fleisch, ihrem Geruch, der ihr im Schlaf an den versteckten, behaarten und vom Schweiß feuchten Stellen ihres Körpers austrat und noch immer im Zimmer vorhanden war. Er sah Grams vor sich, wie er die Tür einen Spalt öffnete und in die Dunkelheit spähte, wo Anna halb entblößt in ihrem Bett lag im Schein der Straßenlaterne. Ihr Atem das einzige Geräusch, bis sie etwas murmelte und die Beine bewegte.
    Sie lächelte und sagte: Tja, als Karl den ersten Karton aufnahm und nach draußen trug und im Kofferraum des BMW -Kombi verstaute. Tja, dann müssen wir wohl, sagte sie, nachdem Karl als Letztes das Cello in den Wagen geladen hatte. Zehn Minuten hatte er für alles gebraucht. Im Kofferraum war noch Platz, die wenigen Kartons, der Instrumentenkoffer, ein Mantel und zwei, drei Kleider an Kleiderbügeln ließen ihn eher an eine Flucht denken als an einen Umzug.
    Schaust du noch mal, ob er nicht doch irgendwo ist? sagte Anna, und Karl stieg die Treppen hoch, während Grams’ Vater rief, dass er nur noch seine Schuhe anziehen müsse und die Schlüssel finden, dann gehe es los. Im Zimmer roch es nach Raumspray und kaltem Rauch, Grams’ Jacke lag auf dem Sofa, seine Schuhe standen davor. Auf dem Schreibtisch, noch eingeschweißt, die Back in Black von AC/DC. Er betrachtete die Schallplatte und widerstand dem Drang, die Zellophanhülle zu entfernen und die Platte aufzulegen. Gedämpft drang das Fluchen von Grams’ Vater aus dem Erdgeschoss auf der Suche nach seinen Schlüsseln nach oben.
    Klobbe? hörte Karl. Er sah sich um im Raum, niemand war da.
    Klobbe? hörte er wieder.
    Ja? sagte er.
    Im Schrank, sagte Grams.
    Karl zog die Tür des Wandschranks auf. Grams saß auf dem Boden, die Beine angezogen und die Arme um die Knie verschränkt. Er blinzelte in die Helligkeit und fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht.
    Was machst du hier? fragte Karl.
    Alles so weit? fragte Grams.
    Dein Vater sucht nur noch die Schlüssel, sagte Karl.
    Sie hörten, wie sich Grams’ Eltern wegen der Schlüssel zu streiten begannen, dass sie ihn doch bestimmt wieder in ihren Fingern gehabt habe, sagte sein Vater, dass er sich schleichen solle, sagte sie.
    Grams erhob sich langsam, setzte sich auf das Sofa und zog seine Schuhe an. Eine Taschenlampe, ein Lustiges Taschenbuch , eine Tüte mit Süßigkeiten, zwei Capri-Sonne und Schulhefte lagen auf dem Boden des Schranks verstreut.
    Komm, sagte Grams, bevor er aus dem Zimmer ging.
    Das Fluchen des Vaters drang jetzt aus der Waschküche im Keller. Anna lehnte am Kotflügel des Kombis, als sie aus dem Haus traten. Die Arme vor der Brust verschränkt, fixierte sie Grams und kam auf ihn zu. Sie legte die Hände an seine Brust und flüsterte: Ich will, dass du mich fährst.
    Dann zog sie einen Schlüsselbund aus ihrer Jackentasche und gab ihn Grams: Ich will, dass du mich zu Josef bringst, sagte sie, und Grams nickte, und sie küsste ihn halb auf die

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