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Wo wir uns finden

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Titel: Wo wir uns finden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Findeis
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mir einen Heizlüfter, hatte Karl gesagt, und seine Mutter hatte gelächelt: Du machst das schon, gesagt und war in die Küche gelaufen, wo das Nudelwasser überkochte. Sein Vater hatte in der Tür gestanden und gesagt: Vielleicht bekomm ich aus der Schule einen – falls mal die Heizung ausfällt, haben wir die.
    Der Rektor erlaubte seinem Vater aber nicht, einen der Heizlüfter auszuleihen oder zu kaufen, weil die Eigentum der Stadt seien, da könne man keine Geschäfte machen, hatte Karl am Ende der Woche erfahren. Sein Vater hatte die Schultern gehoben und Karl gedacht: Der Arsch hätte doch nie erfahren, wenn du einfach einen mitgenommen hättest.
    Es regnete seit Tagen, und Grams kam wie fast immer zu spät zum Unterricht. Ohne sich beim Lehrer zu entschuldigen, setzte er sich. Wasser lief ihm aus den Haaren, die Fransen seiner Wildlederjacke tropften. Die Hefte und Bücher, die er auf den Tisch legte, waren dunkel verfärbt vom Wasser und aufgequollen. Karl gab ihm sein Taschentuch. Grams nahm es, ohne zu prüfen, ob es benutzt war, und trocknete sich das Gesicht. Anna ist schwanger, flüsterte er, putzte sich die Nase und gab das Taschentuch an Karl zurück: sie heiraten.
    Dann ist es vorbei, dachte Karl: nix mehr zu machen.
    Er hoffte, dass Dix und Anna wegzögen und er und Grams wieder in den Donnerhügel gehen und trinken und rauchen und kickern konnten. Der Lehrer fragte, ob sie nicht den Rest der Klasse an ihrer Unterhaltung teilhaben lassen wollten. Grams sagte, dass sie mit ihrem Gesäusel von Liebe, Sex und Zärtlichkeit die anderen nicht erotisieren wollten. Karl wurde rot, die Klasse lachte. Stumm standen sie in der Pause nebeneinander in der Raucherecke, später gingen sie gemeinsam durch das Schultor und blieben im Nieselregen stehen. Der Himmel hing tief. Auf dem Gelände der Berufsschule sah Karl seinen Vater, wie er ein paar Stühle über den Hof schleppte.
    Sie hat gekündigt zum Monatsende, sagte Grams: und ein Haus haben sie gekauft an der Christophsruh – bei dir um die Ecke.
    Scheißgegend, sagte Karl.
    Alles hinter meinem Rücken, sagte Grams: ich zeig das Schwein an.
    Wegen was denn? sagte Karl, und Grams lachte.
    Vielleicht geh ich einfach auf Trebe und verschwinde, sagte Grams. Sein Zigarettenpapierchen riss ein. Tabak und Papier warf er auf den Boden und spuckte darauf.
    Karl gab ihm eine faltige HB aus seiner Tasche, die er am Morgen seinem Vater geklaut hatte: Können wir nix machen? fragte er.
    Saufen! sagte Grams, brannte sich die Zigarette an und schlug Karl auf die Schulter: ich geh heim – besser, ich wär gleich auf dem Internat geblieben.
    Karl schloss die Wohnungstür auf und trat ein. Niemand war da. Er setzte sich ins Wohnzimmer, Hunger hatte er keinen. Seit Langem dachte er wieder an Susanne. Sie hatte ihm neulich von ihrem Fenster aus zugewinkt, als er unterwegs war, um sich mit Grams zu treffen. Sie hatte ihm irgendetwas sagen wollen, er aber hatte ihr bedeutet, dass er keine Zeit habe, und war weitergegangen. Wie sie ihn in ihr Zimmer hatte bitten wollen, stellte er sich jetzt vor, ihr Bett, ihren Atem, den Geruch ihres Haars. Er legte den Kopf in den Nacken und sah an die Decke. Von der Wohnung drüber war nichts zu hören, keine Schritte, kein Radio, kein Streit. Der Regen wurde stärker und von einzelnen Böen gegen die Fensterscheibe geweht. Die Kuckucksuhr an der Wand über dem Fernseher tickte. Ich wär besser auf dem Internat geblieben, dachte er: ja, ja. Er sah Dix und Anna vor sich, wie sie mit ihrem Baby in ihrem Haus lebten, wie Grams in seinem Internat lebte und er hier. Er ging in das Zimmer seines Bruders und zog den Schrank, der mit einem Vorhängeschloss gesichert war und in dem sich Hunderte Pornohefte stapelten, von der Wand. Ganz leicht ließ sich die Rückseite lösen, wie er früh schon herausgefunden hatte. Er nahm sich den Stapel mit den neuesten Heften, setzte sich auf das Bett und sah sie durch. Er spürte keine Lust, obwohl ihm eine Schwarze besonders gut gefiel. Er betrachtete ihre vollen Schenkel, den mütterlichen Bauch. Es gelang ihm, die beiden Männer in der Szene mit den Händen fast vollständig zu verdecken. Er legte sich zu ihr. Die Haut an ihrer Schulter glänzte, er biss hinein und blieb so. Als der Regen aufhörte, nahm Karl sich das Rad seines Vaters und fuhr die Straßen ab, wo das Haus von Dix und Anna sein musste. Den weißen Alfa Romeo sah er von Weitem. Er stand vor einem heruntergekommenen Kniestock-Haus am Ende der

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