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Wo wir uns finden

Wo wir uns finden

Titel: Wo wir uns finden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Findeis
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Wange und halb auf den Mund.
    Du kriegst doch nur wieder Ärger, sagte Karl und hörte Grams’ Vater aus dem Inneren des Hauses rufen: Dann laden wir eben um in die Limousine, als Grams den Motor des Kombis startete und von der Auffahrt fuhr. Grams’ Vater kam aus dem Haus und fragte, wer da fahre. Karl antwortete nicht, er verließ den Vorgarten und ging nach Hause. Er wusste, dass Grams nicht zurück zu seinen Eltern fahren würde, beim Zubringer fuhr er auf die A 7 Richtung Norden, er fuhr, bis ihm auf halber Strecke zwischen Fulda und Kassel der Sprit ausging, den Wagen ließ er auf dem Standstreifen zurück, ging querfeldein bis zum nächsten Ort, wo er die erste Kneipe betrat und soff, bis sie schloss und er zum Wirt sagte, der die Rechnung beglichen haben wollte: Holen Sie doch die Polizei – ich hab kein Geld.
    Früh war der Winter gekommen, Schnee war gefallen, der von einem eisigen Wind durch die Straßen und Wälder und über die Heide geweht wurde, sodass sich kleine Hügel und Täler bildeten, die wanderten und wuchsen und schrumpften. Das Schlagen der Kirchenglocken verhallte kaum mehr, wie in Watte gehüllt erstarb das Geläut dumpf und klein. Grams war mit seiner Familie über die Feiertage auf ihre Hütte in den Schwarzwald gefahren. Karl hatte meistens auf der Couch in der Wohnung gelegen, weil es in seinem Keller zu kalt geworden war. Seiner Mutter hatte er eine Flasche Eckes Edelkirsch geschenkt zu Weihnachten, seinem Vater ein Irish-Moos-Aftershave und seinem Bruder die neue Platte von Status Quo. Er hatte von allen zusammen die Schnür-Lederhose bekommen, die er sich gewünscht hatte. Dass da ein Teil Geburtstagsgeschenk auch mit drin sei, hatte seine Mutter später gesagt und ihm über den Kopf gestrichen, als er im Schlafzimmer seiner Eltern stand und sich betrachtete im Spiegel. Die Hose saß eng, und seine Mutter sagte: Ob das gesund ist?
    Am Silvestermorgen rief Grams an, wie sie es abgemacht hatten, und Karl packte sich den Bundeswehrschlafsack seines Vaters in den Rucksack zu seinen Kanonenschlägen, den Knallfröschen und der großen Flasche Jägermeister und ging zu ihm. Vereinzelt waren Kracher zu hören und Heuler; Raketen, deren Ladung im eintönigen Grau des Winternachmittags im Himmel sinnlos verbrannte. Der Geruch des Schwarzpulvers in der Luft, der schmutzige Schnee, der Abend, die Nacht, die etwas Besonderes werden musste, obwohl er und Grams nicht wussten, was sie tun sollten. Der Donnerhügel hatte geschlossen, auf Silvesterpartys hatte Grams keine Lust. Karl war auch auf keine eingeladen. Und Grams war bereits betrunken, als Karl bei ihm ankam. Er gab ihm ein Glas Eierlikör mit Sekt gemischt und sagte: Da furzt du wie der Leibhaftige persönlich – genau das Richtige, um deine neue Hose einzuweihen, und furzte, und Karl floh vor dem Gestank aus dem Zimmer.
    Wir machen eine Wanderung, sagte Grams.
    Und dann? fragte Karl.
    Ins Eselsburger Tal, zu der Hütte da, sagte Grams.
    Aber die hat zu im Winter, sagte Karl.
    Deswegen ja, sagte Grams.
    Dann ist da doch niemand, sagte Karl.
    Deswegen ja, sagte Grams.
    Grams bot ihm die gefütterten Wanderschuhe seines Vaters an, aber Karl lehnte ab. Er war sich sicher, dass sie niemals die zwei Stunden durch den Schnee ins Eselsburger Tal wandern würden, um dort in völliger Dunkelheit an einer nur im Sommer geöffneten Grillhütte Silvester zu feiern.
    Grams packte zwei Flaschen Apfelbrand, zwei Schachteln Zigaretten und mehrere Zigarren in seinen Rucksack. Er lächelte und fragte: Kennst du eine Wurstsorte, die mit U anfängt?
    Karl hob die Schultern, und Grams sagte: Uffschnitt! und lachte und schüttelte den Kopf, während er seinen Rucksack verschnürte: Uffschnitt, sagte er nochmals.
    Als sie losgingen, klarte der Himmel stellenweise auf, am Horizont brach kurz die Sonne durch. Die Straßen waren leer bis auf einige Kinder, die mit Krachern nacheinander warfen oder kleine Schneehaufen damit sprengten.
    Sie sind bei seiner Mutter heute, sagte Grams, als sie an Dix’ und Annas Haus vorbeigingen, das immer noch heruntergekommen aussah, obwohl Fenster und Türen ausgetauscht worden waren und das Dach neu eingedeckt. Sie ließen das Haus und Gefrieß hinter sich und schritten auf der alten Landstraße auf den Wald zu, der dunkel gegen die weiße Umgebung stand. In der Luft schwebten Eiskristalle, die glitzerten, brach die Sonne durch die Wolken.
    Annas Lieblingsfilm ist Casablanca mit Humphrey Bogart, sagte Grams: ich hab mir den

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