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Wo wir uns finden

Wo wir uns finden

Titel: Wo wir uns finden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Findeis
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ohne zu denken, die Frage stellte: War das ein Gesicht aus der Zukunft oder der Vergangenheit? Grams schwieg 0der sang leise vor sich hin: So much for a golden future, I can’t even start / I’ve had every promise broken, there’s anger in my heart.
    Karl spuckte ins Feuer, und Grams sagte: Weißt du? und verstummte.
    Alle Konturen des Tals, die Bäume und Felsen waren klar gezeichnet trotz der Masse des Schnees, der, angeleuchtet vom Dreiviertelmond, wie der Grund eines polierten Kessels glänzte.
    Ich hab meinen Eltern und den Babys nichts geschenkt zu Weihnachten, sagte Grams: ich hab gesagt, ich hab mein Geld versoffen. Dabei hab ich alles für Anna ausgegeben, eine Kette hab ich ihr gekauft, 4 Karat, 999er Gold – und die hat sie dann nicht getragen, als ich sie besucht hab gestern und vorgestern.
    Ich dachte, du bist erst heute Morgen zurückgekommen von der Hütte? sagte Karl.
    Der hat ihr bestimmt verboten, sie zu tragen, sagte Grams und nahm einen Schluck aus der Schnapsflasche, bevor er sie an Karl weitergab.
    Warum hast du dich nicht früher gemeldet? fragte Karl.
    Dann sitz ich bei denen in der Bruchbude, muss zum Rauchen auf die Terrasse und starr Anna den ganzen Tag auf den Hals, wo die Kette sein sollte – und sie kapiert’s nicht, sagte Grams und griff sich die Flasche von Karl, bevor der getrunken hatte, und nahm den nächsten Schluck: und der Dix dachte bestimmt, ich glotz ihr auf die Möpse die ganze Zeit.
    Karl musste lachen.
    Dass ich keine Geschenke für die Babys hatte, war das Schlimmste, sagte Grams.
    Karl schmolz Schnee in einer verkohlten Konservendose, die er gefunden hatte. Dass das Wasser nach Asche schmeckte, war ihm egal, er trank es in großen Schlucken, fühlte, wie der Rausch leichter wurde. Hunger hatte er keinen mehr. Die Hitze des Feuers brannte im Gesicht.
    Du musst nur sagen, wenn ich irgendwas machen soll, sagte er, ohne den Blick vom Feuer zu nehmen.
    Ich weiß, sagte Grams.
    Karl nahm den nächsten Schluck, der Rausch war gut und warm, und das Feuer und die Kälte und der Freund gehörten zu ihm, und besser konnte es nicht werden. Er trank Schluck um Schluck und driftete Schluck um Schluck ab. Irgendwann hörte er ein entferntes Grollen – zu sehen aber war vom Feuerwerk hier nichts. Grams setzte sich neben ihn, legte ihm den Arm um die Schulter und wünschte ihm ein frohes neues Jahr. Karl traute sich nicht, den Kopf zu bewegen, den Blick abzuwenden von dem schwarzen Punkt auf der Bank gegenüber, den er fixierte. Grams, den er nur als Schemen am Rande wahrnahm, verschwand und tauchte wieder auf, den Jägermeister und zwei Zigarren hielt er in Händen. Karl schloss die Augen und öffnete sie sofort wieder und konzentrierte sich auf den Punkt am zementierten Fundament der Bank, den wässrigen Speichel, der sich in seinem Mund bildete, versuchte er auszuspucken, die Flüssigkeit aber lief ihm einfach das Kinn hinab. Grams lachte, brannte eine Zigarre an und versuchte, sie Karl in den offenen Mund zu stecken, wo sie sofort wieder herausfiel. Grams probierte noch einmal, die spuckeverschmierte Zigarre, die wieder ausgegangen war, in seinem Mund zu fixieren. Karl wollte sich nicht wehren, weil er wusste, wenn er sich bewegte, müsste er sich übergeben. Wie ein Echo aus einer anderen Zeit blieb das Donnern des Feuerwerks in seinem Kopf und hörte nicht auf. Er saß, starrte, spuckte und hoffte, bis er zurückkam wie aus einem Traum, für den er die Augen nicht hatte schließen müssen. Grams saß nicht mehr neben ihm. Karl fragte sich: seit wann? und hätte gerne gewusst, wie spät es war, ob sie jetzt gehen könnten. Er blickte sich um und entdeckte Grams, der einen Schritt hinter ihm stand und mit dem Kopf im Nacken aus der Flasche Jägermeister trank, dabei wankte wie Schilfrohr im Wind. Dass das nicht gut gehen würde, wusste er, als Grams die Flasche in die Dunkelheit warf und nach Karls Rucksack griff, die große Tüte mit den Kanonenschlägen und den Starenschrecken herausnahm und hineinsah. Er sagte etwas, das Karl nicht verstand, und warf die Tüte einfach ins Feuer. Dass er kurz überlegt hatte, die Tüte wieder herauszuholen, wie sie vor ihm in der Glut lag, erinnerte er sich später, und wie lang ihm dieser Moment vorgekommen war, in dem die Tüte sich nicht zu verändern schien, bevor der erste Kracher explodierte und die Glut auseinanderstob. Karl ließ sich hinter die Bank fallen und versuchte, seinen Kopf mit Händen und Armen zu schützen.
    Es blieb nur

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