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Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
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solche Siege. Wer will eine schwer beladene Beduinin einsetzen, um den Sohn hereinzulegen und um seine Naivität auszunutzen, wer will sich schuldig fühlen, wer will bestechen und ein Bonbon anbieten.
    »Was für eines?«
    »Ein rosiges Toffee.«
    Er fragte, ob der Geruch des Bonbons Emotion nicht aufwecken würde, und wickelte die Süßigkeit aus dem Papier, teilte sie mit den Zähnen, lutschte und kaute und schwieg, bis er eindöste und im Schlaf kleiner aussah als sonst, sein Kinn sank in seinen Hals, der Abstand zwischen den Wirbeln verringerte sich, seine Wirbelsäule zog sich zusammen. Der Schlaf verkleinerte seine Gestalt und vergrößerte meinen Kummer über das, was war, und das, was zwangsläufig sein würde, und die Angst vor den Tagen, die ihn erwarteten, wenn er heranwuchs und ihnen allein gegenüberstand. Er lachte im Schlaf, ein kurzes Lachen, alswürde er gekitzelt, und seine Lippen waren weich, und der Rest des Lachens blieb auf ihnen zurück. So schlief er viele Kilometer lang, er verpasste die Störche im Tal von Beit Sche’an und die Biegung des flachen Jordans im Jordantal. Ich weckte ihn für den See Genezareth, aber er betrachtete ihn, als würde er noch immer schlafen. Die Katze bewegte sich in ihrem Käfig, sie stieß einen dumpfen Seufzer aus, wachte aber nicht wirklich auf.
    Er sagte: »Es sieht so aus wie das Meer in Eilat, wo ich mit Papa war«, als wir am nördlichsten Punkt des Sees stehen blieben, um ihn zu betrachten.
    »Das Meer, an dem ich mit Papa war, ist mehr wert. Wenn er erst wieder gesund ist und genug Emotion hat, fahre ich mit ihm dorthin.«
    Auch mein Blick ruhte auf dem Wasser, aber was ich darin sah, kam aus meiner Seele, klar und deutlich sah ich Gideon mitten in dem silbrigen See, er war da und nicht da, wie Jesus, mager und kahl geschoren, gleichgültig und gelassen. Wäre er in Reichweite, hätte ich ihn geschlagen und angeschrien, du hast mich geliebt, du hast mit mir ein Kind bekommen, und eines Tages bist du aufgestanden, hast den Tod deines Gefühls verkündet und bist gegangen. Einfach und kurz wie ein Niesen. Hast du beschlossen, aus dem Spiel auszusteigen? Dann sei ein Mann, schneide dir die Pulsadern auf. Wenn du gehen willst, geh. Du hast es nicht getan, du hast nicht das Recht, dem Jungen den Vater wegzunehmen und ihm die Seele zu zerknittern. Und was mich betrifft, wir haben uns auf das Abenteuer eingelassen, das Familie heißt, und dann hast du mir den Mann weggenommen und mich mit einem Mann, der nur in der Kartei des Rabbinats existiert, zurückgelassen, mit Kleidern im Schrank und saurem Aftershave im Badezimmer. DieWohnung ist auf unser beider Namen eingetragen, auch die Hypothek, auch das Kind, auch das Ehebett, auch ein paar Träume. Ich hätte dir eine Superohrfeige verpasst, hier, vor den Golanhöhen und vor Palmen mit niedrigen Wipfeln.
    »Komm, fahren wir weiter, bevor die Katze aufwacht und uns Theater macht«, sagte ich. »Hast du Lust zu singen?«
    »Nein, ich mag nicht.«
    »Dann nicht.« Er hatte recht, er würde singen, wenn er Lust dazu hatte, und nicht, wenn seine Mutter Angst hatte vor der Stille. Wir fuhren weiter, und die Stille schwoll an, sie breitete sich aus und erdrückte uns. Wir verließen die Hauptstraße und fuhren eine gewundene, unbefestigte Straße mit vielen Bäumen hinauf, rechts und links neben uns wuchsen dicke Eichen. »Chagis Hof«, stand auf einem Schild, und ein Pfeil zeigte uns die Richtung zum Anwesen. Unter dem Pfeil war ein Zettel befestigt: »Arbeiter gesucht, für Wachdienste und zur Instandhaltung. Wohnmöglichkeit auf dem Hof.« Nur ein Verrückter oder einer, der vor der Welt flieht, würde seine Tage an diesem Ort verbringen wollen, der nach einem toten Jungen benannt ist.
    »Wir sind gleich da«, sagte ich, und der Junge richtete sich auf, löste sich von der Lehne und schaute sich um. Er hatte Angst, dass die Schäferhunde, von denen Amos gesprochen hatte, sich auf uns stürzten, und wenn nicht auf uns, dann auf die Katze, oder dass die Katze aufwachte und uns alle  angriff. Aber die Hunde lagen unseretwegen an Laufleinen, die den Hof entlangführten, sie rissen rote Schnauzen auf und bellten uns entgegen, ihre Raubtiergebisse glühten in der Sonne und schnappten in die Luft. Das Tor, durch das wir gingen, lag außerhalb der Reichweite ihres Zorns.
    Der Hausbesitzer, Herr Levis Sohn, kam uns mit einemCowboyhut entgegen, in Arbeitsstiefeln und mit einem Gürtel, an dem eine Baumschere, ein Telefon und

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