Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
Vom Netzwerk:
eine Pistole hingen. Er zeigte mir, wo ich den Mazda parken konnte, und kam auf uns zu. Sein Cowboyoutfit machte einen großen Eindruck auf den Jungen. »Mama, schau mal, er hat eine Pistole und …«
    Hinter ihm sah ich ein zweistöckiges Steinhaus, weiß gestrichen, mönchisch, einfach, rechtwinklig, Fensterrahmen aus Holz und Rollläden aus Metall. Auch in dem großen Garten war keinerlei Schmuck zu sehen. Keine Rose, keine Lilie, kein Stiefmütterchen. Nur dickblättrige Kakteen und Felsen, die vom Berg bis in den Garten gebracht worden waren. Das Haus, das Anwesen, der Mann schmückten sich nicht und weigerten sich, der Welt zu schmeicheln.
    »Wo ist die Dame?«, fragte er.
    »In einem Käfig. Sie hat eine Beruhigungstablette bekommen und sich ergeben.«
    Er beugte sich ins Auto und zog den Käfig heraus. Plötzlich schlug Licht gegen die Lider der Katze, sie krümmte sich, der Junge wich zurück, die Hunde bellten, als hätten sie den Verstand verloren, als bestünden sie nur noch aus Lungen und Kehlen. Die Katze hatte sich in einer Ecke des Käfigs verkrochen, jetzt kam sie langsam zu sich, spreizte die Beine und sah uns aus grünen Augen feindselig an. Sie lag auf dem Rücken, dann drehte sie sich um und richtete den Blick auf den Jungen, geduckt wie ein Sprinter am Start. Der Junge wich noch weiter zurück, schrie »Mama«, und dann fiel der Startschuss. Sie sprang gegen das Gitter und stieß ein schreckliches Geheul aus. Sogar die Hunde wurden still, das Gebell blieb ihnen im Hals stecken.
    »Ich kann mich nicht erinnern, je so etwas gehört zu haben«, sagte Amos erstaunt in der kleinen Pause zwischendem ersten und dem zweiten Heulen. Aber er vergeudete keine Zeit, schwang den Käfig durch die Luft, stellte ihn auf die Erde, schrie »Ruhe!« und starrte die Katze an. Verblüfft und geschlagen drehte sie sich um sich selbst, dreihundertsechzig Grad in der Geschwindigkeit einer Diskuswerferin, sah aus wie ein gelber Fleck auf einem Karussell, sie drehte sich um die eigene Achse und wurde mit jeder Umdrehung schneller, eine Zentrifuge, die außer Kontrolle geraten ist. Der Junge war wie hypnotisiert, auch der Besitzer der Katze. Ihr wurde schwindlig, sie knallte von einer Wand ihres Käfigs zur anderen, ihre Drehungen wurden schwächer, sie brach zusammen, atmete schwer, bemühte sich aufzustehen, fiel wieder hin.
    »Diese Lektion wird sie nicht vergessen. Kommt ins Haus, trinkt etwas.« Amos packte den Käfig samt Inhalt und bedeutete uns, an ihm vorbei hineinzugehen.
    Das Haus war auch innen ordentlich, ohne zu protzen. Es enthielt alles, was zu einem praktischen Leben nötig ist, aber nichts nur fürs Herz, außer einem Foto, das allein an einer weißen Wand hing, an einer Stelle, die vom Licht aus dem nach Westen gehenden Fenster sanft beleuchtet wurde. Als sei der ganze Ort nur für dieses Bild erbaut worden. Das lebensgroße Schwarz-Weiß-Porträt eines fünfjährigen Jungen. Der Junge auf dem Bild war eine weichere, verfeinerte Version seines Erzeugers, er besaß eine Ernsthaftigkeit, der das Leben noch keinen Schaden zugefügt hatte. Seine Augen waren klar und lagen so tief in den Höhlen wie die des Mannes, der in die Küche gegangen war, um die Limonade zu holen, die er für uns vorbereitet hatte.
    »Mama, wer ist der Junge auf dem Bild?«
    »Der Sohn von Amos.«
    »Kann ich mit ihm spielen?«
    »Nein, das Foto stammt aus einer Zeit, als er so alt war wie du, das ist schon lange her.«
    Amos hörte in der Küche, was ich sagte, und beeilte sich nicht mit der Limonade, er wusste, welche Kraft das Foto an der Wand ausstrahlte, und wartete darauf, dass wir uns wieder fassten. Der Mund des Jungen auf dem Bild war leicht geöffnet, als läge ihm ein Wort auf den Lippen, zurückgehalten, bevor die Stimme es ausgesprochen hatte. Ich trat näher an das Bild, die Augen des Jungen schauten mich mit durchdringendem Ernst an und verlangten von mir, etwas zu tun. Ich hielt den Blick nicht aus, ich fuhr mit dem Finger über die leicht geöffneten Lippen und hinterließ einen feuchten Streifen auf dem Glas.
    »Mama, warum fasst du ihn an?«
    »Da war ein bisschen Staub, ich habe ihn weggewischt.« Was würde es ihm helfen, wenn er wüsste, dass es ein Wort gab, das für immer gefangen blieb. Ich wollte auch nicht, dass der Lebende eifersüchtig würde auf den außergewöhnlichen Toten.
    Amos deckte für uns einen bescheidenen Tisch in der Diele, die sowohl als Essecke als auch als Zimmer zum Empfang von Gästen

Weitere Kostenlose Bücher