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Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
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und lief zu Gideon. Wir saßen auf der Schaukel, und Madonna stand vor uns, ein dünner, langer Schatten vor dem trüben Himmel, und wartete darauf, was wir mit dem kleinen Hund tun würden, und er, dessen Schicksal auf dem Spiel stand, kauerte sich unterwürfig auf Gideons Knien zusammen, in der trockenen Luft hechelnd. Mein Vater hätte gesagt, ein deutscher Hund? Verflucht soll er sein, ein Enkel von einem der Nazi-Ungeheuer, wer weiß, wie viele jüdische Mäntel der Großvater von diesemKleinen da zerrissen hat, und in wie viele jüdische Beine er seine Zähne geschlagen hat …
    »Übrigens, er heißt Wodka«, sagte sie, und er richtete sich auf, als er seinen Namen hörte, als wäre er zur Fahne gerufen worden.
    Sie legte einen weißen Finger auf ihre schwarz angemalten Lippen. »Brav, Wodka. Was hast du? Spiel hier nicht verrückt.« Sie fuhr ihm mit den Fingernägeln über das Fell, und er stellte sich auf die Hinterbeine und bellte lange und laut und störte die Nachtruhe der Vögel. In den Baumwipfeln wurden Flügel zusammengeschlagen, jemand gurrte, jemand hüpfte auf, stieg in die Luft, sank nieder und verschwand in einem Baum.
    »Bye, Wodka«, sagte Madonna, wandte sich zum Gehen und sagte noch einmal: »Bye, Wodka.« Sie drehte sich um, wir konnten ihr Gesicht und ihren Hals nicht mehr sehen, schwarz vom Kopf bis zu den Füßen verschwand sie in der Dunkelheit. Der Hund schaute ihr mit gerecktem Hals nach, riss das Maul auf, um ein lautes, langes Heulen auszustoßen, und tat es nicht. Er verstand plötzlich, dass das Leben nun mal so war, die Aufsichtsperson war eine andere geworden, Dinge gingen zu Ende, und andere begannen.
    Am Morgen fuhren alle drei zu den Fischen. Gideon mit dem Rucksack, in dem sich die Anziehsachen des Jungen befanden. Der Junge mit seinem kleinen Brotbeutel und in den neuen Schuhen. Der Hund leckte die Füße seiner neuen Herren, versuchte verzweifelt, ihre Liebe zu gewinnen. Beide, der Hund und der Junge, waren außer sich. Einer sprang nach rechts, der andere nach links, sie stießen zusammen und liefen einander hinterher. Sie gingen durch das Tor, und Gideon drehte sich um, betrachtete das Haus, alswolle er sich den Anblick einprägen, um es beim nächsten Mal zu erkennen.
    »Los, Papa, komm«, schrie Nadav, und der Hund bellte. Sie gingen die Straße entlang zur Bushaltestelle, und vor ihnen bewegten sich zwei kleine glückliche Schatten und zwischen ihnen ein langer, trauriger, müder Schatten.

4
    In der Nacht raschelte die Rose, abgestorbene Blätter fielen, wurden weitergeweht und fanden keine richtige Ruhe.
    Ich war allein zu Hause, ohne Kind, ohne Mann, ohne Hund, das Haus war leer und voller Unruhe. Obwohl mir das ganze Haus zur Verfügung stand, fand ich keinen Platz, ich ging zum Fenster. Das Husten alter Lungen war zu hören, doch auch ohne dieses Husten hätte ich gewusst, dass die Augen des Alten vom Fenster gegenüber die Dunkelheit durchbohrten.
    »Nun, ist Ihr Mann weggefahren?« Ich war in der Dunkelheit versteckt und leise wie eine Ameise, und er wusste, dass ich hier stand. Er war ein geübter Fenstergucker, Nasenbohrer, Spucker und Kratzer, bestimmt waren ihm längst besonders empfindliche Sensoren und Melder aus der Haut gewachsen.
    Am Morgen hatte er ihre Fußabdrücke im Sand gesehen und gewusst, dass Gideon weggefahren war und den Jungen und den Hund mitgenommen hatte. In der feuchten Erde waren ihre Spuren zurückgeblieben.
    »Entschuldigen Sie, aber unser Vertrag erlaubt keine Untermieter«, rief er mir zu.
    »Was für ein Untermieter? Er ist mein Mann.«
    »Nicht er, der Hund.« Der Wind warf seltsame Schatten auf sein Haus und dämpfte das Licht der Straßenlaterne.
    »Wir haben drei Personen ausgemacht, Frau Amia, mit dem Hund sind es vier.«
    Ich wurde lauter. »Okay, wir haben ausgemacht, dass ich ein leeres Haus bekomme, ohne andere Mieter. Sie bestehen auf drei Personen? Dann entfernen Sie gefälligst die Kakerlaken, die vom Vormieter zurückgeblieben sind, die Motten und die Holzwürmer und die zwei dicken Fliegen, die jeden Morgen in der Küche herummachen.« Er gab keine Antwort, und ich schwieg auch und dachte an meine drei Personen. Ich hatte einen Mann und einen Sohn, und beide waren jetzt in einer Hütte, in einem Wohnwagen, in einem Schuppen oder einem Zelt, die Schuhe des Jungen waren aneinander festgebunden, er hielt sie an den Schnürsenkeln fest, er träumte die Träume von Kindern, deren Erzeuger ihr Leben in Stücke zerlegen.

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