Wodka und Brot (German Edition)
Süßes und Salziges fand, und die Hände kannten ihren Weg zum Harten und zum Weichen, und alles andere wusste ebenfalls Bescheid, und das ist wohl das, was das Wort »Wissen« bedeutet.
Danach saßen wir draußen auf der Doppelschaukel. Wüstenwind bedeckte den Himmel mit Staub, eine schwache Aureole umgab den Mond, sein Licht brach sich im Staub, der sich um ihn gesammelt hatte, und ließ einen blassen Kreis entstehen. Wie ein Kranker, der nicht über seine Krankheit spricht, sprachen wir nicht über das große Leben, nur über Bagatellen, die es verschönern.
»Ich will mir den Zopf abschneiden«, sagte ich.
»Bist du verrückt geworden?« Er richtete sich auf, löste den Rücken von der Lehne und drehte sich zu mir, mit weit aufgerissenen Augen, im schwachen Licht des Mondes war der Hauch eines Lächelns auf seinem Gesicht zu erkennen. Über einen Zopf, bestehend aus drei Haarsträhnen, ließ sich einfach und leicht sprechen, kurz oder lang, dick oder dünn, welche Horizonte eröffnete schon ein Zopf?
»Scha’ul Harnoi hat gesagt, er sei verblasst.«
»Wer? Ach so, er, na und?«
Der Arm, der die Kette der Schaukel traf, traf auch mich und ließ mir einen heißen Schauer über den Rücken laufen. Er streckte auch den zweiten Arm aus, spannte die Beine und beugte sie, und die Schaukel stieg an, immer wieder, der Schwung nahm zu und wir entfernten uns von der Erde, und weil wir uns dem Himmel näherten, wurde derZopf vergessen und verschwand, zusammen mit allen, die ihn je berührt oder geküsst hatten, mit allen Verabredungen, für die ich meine Haare geflochten und hinterher wieder gelöst hatte. Und Scha’ul Harnoi verschwand ebenfalls von der Schaukel, ebenso zufällig, wie er hierhergeraten war.
Wir saßen im Hinterhof, vor uns war der rostige Zaun, dahinter begann der Wald, dessen junge Bäume aussahen, als wären sie von den Zaunlatten aufgespießt. Hier konnte uns der Alte nicht sehen, aber er konnte das Quietschen der Schaukel hören, die Luft, die wir durchstießen, und unser plötzliches Gelächter und unsere Ausgelassenheit, und deshalb waren wir auch nicht überrascht, als wir das Tor knarren hörten. Wir hielten inne und warteten auf seine Schritte auf dem Kies und auf das Rascheln von Laub unter seinen Schuhen. Aber die Schritte des Ankömmlings waren leichter als die des Alten, jünger und geschmeidiger, kein Kies wurde zertreten, kein Laub raschelte.
Ein weißes Gesicht und ein weißer Hals schoben sich aus der Dunkelheit. Madonna, ganz in Schwarz, vom Kopf bis zu den Füßen, stand vor der Schaukel, um ihren Nacken lag ein schwarzer, aufgestellter Kragen. Sie hielt ein Bündel an den Bauch gedrückt, so groß wie eine mittelgroße Wassermelone, die sie vielleicht von einem Feld geklaut hatte, oder eine Sprengladung für den Fall, dass es nicht so ablaufen würde, wie sie wollte, oder ein Baby, das sie entführt hatte, um Lösegeld zu verlangen.
»Was machst du hier?« Ich bemühte mich um eine zornige, kalte Stimme. Gideon nahm die Hand von der Schaukelkette und richtete sich auf. »Bleib sitzen, ich kümmere mich um sie, ich habe schon Erfahrung damit«, sagte ich und stieß ihn mit dem Ellenbogen in die Seite.
»Ich bin gekommen, um meine Schulden zu bezahlen.« Sie verströmte einen leichten Geruch nach Alkohol. »Ich habe dir das hier statt Geld gebracht.« Sie schlug das Tuch auf, das sie um das Ding gewickelt hatte, und ein Kopf tauchte aus dem Bündel auf, zwei Augen glitzerten in der Dunkelheit, Kiefer öffneten sich, Zähne blitzten und bissen in die Luft, und ein kurzes Bellen in Richtung Mond ertönte.
»Er ist hundert Schekel wert, mehr oder weniger«, sagte sie, »ein Deutscher Schäferhund.« Und der Kleine auf ihrem Arm bewegte den Kopf von einer Seite zur anderen, war aufgeregt und verschreckt und wich vor der Hand zurück, die Gideon nach ihm ausstreckte, und als er spürte, wie sein Fell berührt wurde, senkte er den Kopf, schob die Zunge aus dem Maul und leckte Gideons Uhrenarmband.
Ich fragte, ob sie den Hund irgendwo gestohlen hätte, und sie sagte: »Nein, ich habe ihn einfach bekommen.« Ich fragte, ob sie ihn auf der Straße gefunden hätte, und sie sagte: »Nein, ich habe ihn einfach bekommen.« Ich fragte, ob sie ihn irgendjemandem zurückbringen müsse, und sie sagte: »Nein, ich habe ihn einfach bekommen.« Jetzt war es Gideon, der mir mit dem Ellenbogen in die Seite stieß, und das atmende Paket befreite sich aus dem Stoff, in das es gewickelt war,
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