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Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
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brauchten sich auch nicht um unsere dentistischen Probleme zu kümmern. Sie waren nicht älter gewesen als Gideons Eltern, aber ihr Herz arbeitete dreimal so viel und war verbraucht. Früher hatte das Blut für die Beine gereicht, um zu fliehen, dann für das Gehirn, um zu vergessen, und dann, um sich zu erinnern, und am Schluss war die Pumpe vor der Zeit unbrauchbar geworden.
    Nachdem Gideon seine Eltern lange nicht gesehen hatte, fuhr er nun mit hängenden Schultern und mager gewordenen Armen zu ihnen, um sie zu besuchen.
    Als er zurückkam, holte er den Jungen vom Kindergarten ab und mich vom Laden. Die paar Stunden bis zum Schließen des Ladens konnte Amjad allein bleiben. Der Laden hatte das Hauptgeschäft schon hinter sich, Kinderund alte Leute, das Zielpublikum, meiden die Dämmerung und kaufen lieber am helllichten Tag.
    »Wie war’s«, fragte ich. Er beugte sich über das Lenkrad, konzentriert, als würde dichter Nebel den Blick auf die Straße versperren, obwohl die Luft klar war. Die Sonne bewegte sich zur anderen Seite der Welt, ihre Strahlen waren am Horizont noch zu sehen, würden aber bald von Tälern und Wäldern verschluckt werden.
    »Wie war was?«
    »Wie war’s bei deinen Eltern?«
    »Ich war nicht bei ihnen.«
    »Warum nicht?«
    »Ich hatte keine Lust.«
    »Was hast du dann gemacht? Warst du im Büro?«
    »Nein.« Er richtete sich auf, straffte die Schultern wie in den Tagen der schwarzen Robe, bereit, etwas zu verteidigen.
    Ein rotes Licht flackerte auf, dämpfte die Sonne und erlosch wieder. Wir schwiegen und betrachteten die Straße, die ruhig vor uns lag, von einem Balkon flog ein Papierdrache, ein Auto mit einer ganzen Familie, Vater, Mutter und ein Baby, stand rechts von uns vor der Ampel, eine Frau wartete an einer Bushaltestelle und aß eine Banane, zwischen ihren Füßen stand eine volle Einkaufstüte. Nadav sagte: »Papa, Mama, schaut, ein Militärlastwagen.«
    Was hast du den ganzen Tag gemacht? Sollte ich es fragen oder nicht? Wenn du es nicht fragst, sagte ich mir, zeigst du kein Interesse, warum bist du gekränkt, warum bist du zornig. Frag einfach.
    »Ich war in unserer Wohnung. Ich habe die Pflanzen gegossen. Ich habe ein bisschen sauber gemacht. Man muss alle paar Wochen mal nachschauen, was los ist, nicht wahr?«Er hatte recht. Man musste ab und zu hingehen, lüften und gießen, aber er hatte nie etwas dergleichen getan. Dafür war ich zuständig. Ich fuhr zur Wohnung, um in Nadavs Spielsachen nach Lego-Polizisten zu suchen und sie ihm zu bringen. Die Pflanzen waren vertrocknet, die Geranien verwelkt, die Zwergorange kaputt, der Gummibaum lag in den letzten Zügen. Man roch, dass die Wohnung lange nicht gelüftet worden war, überall lag dicker Staub, grau und dicht, kein Finger war darübergestrichen.
    Ich wollte die Hand auf seinen Nacken legen und sagen, auch wenn du nicht dort warst, ist nichts passiert. Auch verheiratete Leute dürfen sich ein Stück aus der gemeinsamen Zeit schneiden, ohne dass sie dafür Rechenschaft ablegen oder Steuern bezahlen müssen. In meiner Torheit fürchtete ich, eine umfassende Genehmigung zum Lügen zu erteilen, und legte die Hand nicht auf seinen Nacken.
    »Grün, du kannst fahren«, sagte ich, denn er war in Gedanken versunken und hatte nicht bemerkt, dass die Ampel umgeschaltet hatte.
    »Rot, bleib stehen!«, rief ich erschrocken, denn auch diesmal hatte er nichts bemerkt oder er schien vergessen zu haben, was rote oder grüne Ampeln bedeuten.
    Bei seiner Ankunft hatte er gesagt, er würde nur eine Nacht bleiben, doch er vergaß es, er blieb drei Nächte und gab sich Mühe, sich zu Hause zu fühlen. Er briet Rühreier fürs Abendessen. Er las dem Jungen vor dem Einschlafen eine Geschichte vor, er unterhielt sich mit Bezalel und Alisa am Telefon, ja, nein, vielleicht, keine Ahnung, wir werden sehen … Er aß wenig. Zweimal trank er vom 777, den ich aus dem Laden mitgebracht hatte. Abends stützte er die Ellenbogen aufs Fensterbrett und schaute langezu, wie die Schatten dunkler wurden und die Kiefern von der Dunkelheit verschluckt wurden. Die Zeitungen, die ich ihm vom Laden mitbrachte, interessierten ihn nicht, er schnitt nur Autoreklamen und Bilder von Tieren für Nadav heraus, er schnitt auch die Krawatten aus den Fotos des Präsidenten und der Minister heraus und machte Fische aus ihnen, er suchte mit dem Jungen die Buchstaben seines Namens. Er schlug die Gerichtsberichte auf, schnitt die Waage der Gerechtigkeit aus und stellte sie zu

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