Wodka und Brot (German Edition)
lieber dort auf mich warten.
Ich ging in der Dämmerung hin, in der Zeit zwischen Tag und Nacht, damit niemand mich sah und sich fragte, was diese Frau mit dem Friedhof zu tun hatte. Ich nahm einen Stein mit, einen runden Stein, klein wie ein Taubenei, den ich im Garten seines Großvaters gefunden hatte, und einen kleinen Strauß Petersilie, die aus der Erde dieses Gartens gewachsen war. Die Dunkelheit kam plötzlich, im Osten stieg der Mond auf, und sein Licht wurde vom Berg versperrt. Ich legte den Stein über seinen Namen und die Petersilie zwischen das Geburts- und das Todesdatum. Der Junge war nicht da, er würde es nicht sehen und nicht wissen, der Einzige, der es sehen würde, war der, der von oben zusah.
Noch während ich da stand und nachdachte, ertönte eine durchdringende Stimme aus der Dunkelheit zwischen den Gräbern und fragte: »Wer sind Sie?« Schritte kamen auf mich zu. Ich erstarrte und suchte Halt an dem kleinen Grabstein. Ich hörte hinter mir leichtes Atmen und Klicken, etwas blitzte auf, grell und blendend. Mein Herzklopfte zuerst wie verrückt, beruhigte sich dann aber, wenn ich verloren war, war ich eben verloren. Die Taschenlampe, deren Licht mich getroffen hatte, ging aus, das Gesicht des Mannes lag im Dunkeln, doch hatte ich keinen Zweifel.
»Sie sind Amos, sein Vater, ich habe von Ihrem Vater das alte Haus gemietet«, stieß ich atemlos heraus.
Er machte die Taschenlampe an und lenkte das Licht auf den Grabstein, der Kiesel, den ich hingelegt hatte, blitzte auf, die Petersilie zitterte im Wind, er ließ das Licht der Länge und Breite nach über die Grabplatte wandern, über den Staub, der den Grabstein bedeckte, prüfte jedes Staubkörnchen, als wolle er wissen, mit wem sein Sohn den Sommer verbracht hatte.
»Was suchen Sie hier?« Seine Stimme war hart und kalt, ein verirrter Lichtschein traf sein Gesicht, ich sah seine Augen aufflackern, eine zerfurchte Stirn.
»Ich habe einen fünfjährigen Jungen, genauso alt wie Ihr Sohn war, als es geschah, deshalb weiß ich, was das …«
»Sie wissen gar nichts«, unterbrach er mich und machte die Taschenlampe aus.
»Es tut mir leid, ich hätte daran denken sollen, dass jemand von Ihnen heute Abend kommt, ich werde Sie nicht länger stören, ich gehe.«
»Sie gehen nirgendwohin. Das hier ist keine Fußgängerzone, hier läuft man nachts nicht allein herum.«
»Ich fürchte mich nicht.«
»Damit hat das nichts zu tun. Mein Sohn braucht kein zweites Unglück, das mit seinem Namen verbunden ist.«
Der Mond war höher gewandert und spendete den Toten einen Teil seines Lichts, und ich sah, dass Levis Sohn so mager war wie sein Vater, aber kleiner, mit einem geraden Rücken, als habe man einen Stock in seine Wirbelsäule gesteckt,vielleicht weil er so oft den Kopf gereckt hatte, um mit dem Himmel abzurechnen. Ein Nachtvogel fauchte in einer der Zypressen, löste sich vom Ast und flog davon, ihm folgten andere Vögel, einer nach dem anderen. Die Nacht wurde tiefer, ich wandte mich zum Gehen.
Er packte mich fest am Arm. »Sie gehen nirgendwohin.«
»Ich warte am Tor.« Ich befreite mich aus seinem Griff und fügte mich kampflos, wer sich in fremde Feierlichkeiten drängt, darf sich nicht beklagen, wenn die Bedingungen ihm nicht gefallen. Ich lehnte mich an das Gittertor, mit dem Rücken zu den Toten, um nicht zu sehen, wenn er den Kopf gegen den Grabstein schlug oder die Hände zum Himmel reckte. Was tat ein Mann, der statt eines Sohnes einen leeren Schädel hatte, ein knöchernes Behältnis, das einmal ein Gehirn umschlossen hatte, von dem Maja-Mirjam gesagt hatte, es sei wunderbar gewesen.
Ich sehnte mich danach, die Beine meines Jungen zu berühren, die Beine meines Mannes zu streicheln, Gott zu bestechen, ihm ein Gelübde abzulegen und zu beten, dass sie mir nie durch die zusätzliche Drehung eines Autoreifens entrissen werden würden. Ich rieb mir die Nase mit Fingern, die noch nach Petersilie rochen, mein Junge war im Haus von Maja-Mirjam, und ich hatte keine Ahnung, wie lange dieser Vater bei seinem toten Sohn bleiben würde, was wäre, wenn es die ganze Nacht dauerte, er war dort in das Seine versunken, und ich stand am Tor, ich konnte heimlich weggehen, ich schuldete ihm nichts, im Gegenteil, er schuldete mir etwas, weil es außer mir niemanden gab, den der alte Levi beschimpfen konnte, und außer mir gab es niemanden, der bezeugen konnte, ob der Alte morgens die Augen aufmachte. Glücklicherweise hatte der Hausmeister der Toten
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