Wodka und Brot (German Edition)
Nadja …
Aber das Leben wartete nicht auf mich, es geschah von allein, zum Beispiel stand Madonna, von niemandem gerufen, plötzlich am frühen Morgen im Laden, noch vor mir. Sie aß ein Bejgel, beugte sich vor Amjad über die Theke und unterhielt sich mit ihm. »Nehmen wir dich, man sieht dir an, dass du Araber bist, das lässt sich nicht ändern, aber was ist mit mir? Bei mir sieht man nichts, man sagt, ich wäre Russin, und das bin ich absolut nicht, wenn du wüsstest, woher ich stamme …« Sie sah mich den Laden betreten, richtete sich auf, biss in das Bejgel und sagte hi, mit vollem Mund. Feuerstreifen brannten in ihrer Rabentolle, ihr Gesicht war blass, die Augenbrauen und die Lippen schwarz angemalt, ein kleiner Metallknopf blitzte unter ihrer Nase. Sie trug eine enge Lycrahose und ein rotes Oberteil. Ich fragte nicht, woher sie erfahren hatte, wo sich der Laden befand und was sie noch über unser Leben wusste. Ich überging sie und wandte mich an Amjad. »Was ist, sind das alle Brötchen, die übrig sind? Man muss sie mitFolie abdecken. Ist die Milch schon gekommen? Wie viel ist von gestern noch da?«
Sie leckte Salz von der Bejgelrinde, er sprang los wie von einer Schlange gebissen und deckte die Brötchen zu, und ich zählte im Stillen bis zehn, dann bis zwanzig, um nicht auf unangemessene Weise über Madonna herzufallen. Es war nicht ihre Schuld, dass Gideon nicht anrief, obwohl ich ihm schon zwei Nachrichten auf die Mailbox gesprochen und eine SMS geschickt hatte. Hätte ich nur den vollen Namen dieser Nadja gewusst. Würde ich mich an die Polizei wenden und ihn als vermisst melden, würden sie mir raten, ein Glas Wasser zu trinken und ihn in den nächsten achtundvierzig Stunden immer wieder anzurufen, aber warum war der Gedanke so abwegig, dass ihm das Telefon ins Meer gefallen oder die Batterie zu Ende war oder dass die rote Katze seiner Nachbarin es verschluckt hatte. Madonna hielt das Bejgel zwischen den Zähnen wie ein Hund seinen Knochen und half Amjad dabei, die Folie über die Brötchen zu spannen.
»Acht sind noch da, zwei dreiprozentige und sechs mit einem Prozent«, sagte er und verstaute sie in der Kiste, die zur Rückgabe bestimmt war.
»Wie geht es deinem Sohn? Deine Haare sind schon ein bisschen gewachsen, lässt du sie oder schneidest du sie wieder?« Madonna sprach, kaute, biss ab und sprach. Sie war so dünn, dass ich mir vorstellte, sie würde, äße sie das ganze Bejgel, eine Beule unter dem roten T-Shirt bekommen. Von ihrem Nabel bis zur Wirbelsäule waren es keine fünf Zentimeter.
»Soweit ich gesehen habe, ist dieser Laden im Eimer. Ich bin schon eine Stunde da, und nur zwei Kaugummis sind über die Theke gegangen. Ich an deiner Stelle hätte darauseinen tollen Friseursalon gemacht. Weißt du was? Sogar ein Schuster würde hier mehr verdienen, in dieser Gegend gibt es viele Menschen, die vom Sozialamt leben, all die Looser, die am Achtundzwanzigsten des Monats ihre Schuhe für fünf Schekel reparieren lassen, für zehn Schekel, bevor sie sie wegwerfen. Kann ich einen von den Joghurts zum Zurückgeben haben?«
»Gib ihr einen frischen, Amjad.« Ich ging zum Waschbecken im Hinterzimmer des Ladens und wusch mir das Gesicht, ließ das Wasser in einem so starken Strahl über mich laufen, als gäbe es keine Wasserknappheit, kein Wasseramt und kein Bußgeld für übermäßigen Verbrauch, dann ging ich wieder nach vorn, tropfend und belebt, und sah zwei junge Männer an der Theke stehen. »Habt ihr Marlboro?«, fragte einer und stützte den Ellenbogen auf die Theke. Amjad erhob sich vom Kühlschrank, doch Madonna war schneller, sie zog zwei Schachteln aus dem Zigarettenregal und hielt sie ihnen hin. Sie legten Geld auf die Theke, einer zog am Zellophanstreifen und machte die Schachtel auf, steckte sich eine Zigarette in den Mund, hielt sie unangezündet zwischen den Lippen und musterte Madonna.
»Los, komm«, sagte der zweite, betrachtete sie ebenfalls lange und sagte: »Eine ganz Süße.«
»Bist du neu im Land? Aus Russland?«
»Siehst du, ich habe es dir ja gesagt.« Madonna strahlte und stieß Amjad ihren spitzen Ellenbogen in die Seite.
»Ja, aus Moskau. Noch etwas?« Sie presste ihre schwarz angemalten Lippen zusammen und formte einen kindlichen Schmollmund. »Cola? Bier?«
»Ja, bring uns zwei Bier, warum nicht«, sagte der Mann, der hatte gehen wollen und inzwischen zurückgekommenwar. Amjad brachte zwei Dosen Bier und stellte sie ihnen hin, sie stießen eine Dose an
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