Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
Vom Netzwerk:
murmelte, »was du nicht sagst«, und der nicht wirklich zugehört hatte, als er von dem Regenguss erzählte und der Wolke, die aufgebrochen war. Er hatte gesehen, wie meine Hand über den Arm seinesVaters geglitten und auf seiner Schulter liegen geblieben war, und er hatte gehört, wie sein Vater geschimpft hatte: »Ich habe dir doch gesagt, du sollst nicht kommen, ich will nur schlafen, wartet, bis ich genug geschlafen habe, das war keine gute Idee, wirklich nicht …«
    Wäre der Junge nicht dabei gewesen, hätte ich ihm eine Schocktherapie verpasst, ich hätte ihm mit aller Kraft ins Gesicht geschlagen. Ich hätte ihn an den mager gewordenen Schultern gepackt und geschüttelt, bis man das Knacken der Knochen und das Knarren der Bettfedern gehört hätte. Eine Schwester kam an die Tür und schaute uns an, blieb stehen, als wäre sie zufällig vorbeigekommen, dann ging sie und eine andere kam, blieb ebenfalls wie gedankenlos stehen, die dritte verstellte sich nicht mehr, sie betrachtete uns lange und sagte dann mitleidig: »Ach, was für einen süßen Sohn er hat.«
    »Papa ist müde, gib ihm einen Kuss, und wir gehen.« Ich krümmte meine Zehen und drückte sie gegen die Sohlen. Nadav trat näher zu ihm, spitzte die Lippen und küsste seinen Vater einen Millimeter oberhalb der Wange, bevor er nach meiner Hand griff. Ich legte eine Tüte mit Birnen und Nüssen auf seinen Nachttisch, drei saubere Unterhosen, ein Buch von Georges Simenon und die zusammengefaltete Zeichnung, dann gingen wir.
    Nadav plapperte unterwegs über Wolkenbrüche und Raumschiffe und Astronauten und erwähnte mit keinem Wort den Besuch, den wir hinter uns hatten. Wir gingen nicht zum Laden und nicht zum Kindergarten, sondern nach Hause, und weil es noch mitten am Tag war, arbeiteten wir im Garten, jäteten das Unkraut in den Beeten mit den Karotten und Frühlingszwiebeln. Der gestrige Regen hatte Erde von den Beeten geschwemmt, aber die Geschmeidigkeitder jungen Stängel hatte dem Wasser widerstanden. Der Wald hatte den Wolkenbruch genutzt, er erhob sich über dem Garten und füllte ihn mit großen und kleinen Kiefernzapfen, offenen und geschlossenen, grünen und braunen, alles war voller Zapfen. Der Junge machte sich daran, sie zu sammeln und neben der Schaukel aufzuhäufen, er tat, als wären es Asteroiden, die aus dem Weltall hier gelandet waren. Sehr gut, soll er vom Weltall träumen und sich mit dem Krieg der Sterne beschäftigen, nicht mit den Niederlagen auf unserer Erde, nur nicht nachdenken, lieber lärmen, die Dinge laut beim Namen nennen, Gras, Erde, Steine, Karotten, Schlamm, Schuhe, achtundzwanzig, Himmel  … Das Gehirn in Ruhe lassen, Unkraut jäten, sammeln, Wicken aufrichten und festbinden, Petersilie ausdünnen, still, sei ruhig, Gehirn, nicht nachdenken.
    Nadav rannte im Garten herum, sammelte Kiefernzapfen, und der Hund rannte vor ihm her und sprang in den Haufen, wurde geschimpft, floh und kam wieder.
    Der Himmel war blass, hatte sich vom gestrigen Schrecken noch nicht erholt, Raben, in einer Pause zwischen Schreien, hatten sich auf dem Dach des Alten niedergelassen und schauten uns zu, und plötzlich flogen sie auf, alle auf einmal, der Schatten eines Menschen fiel auf das Zwiebelbeet, der Hund bellte und rannte davon, und der Junge erstarrte, in jeder Hand einen Kiefernzapfen.
    »Haben Sie einen Schlüssel zu seinem Haus?«, hörte ich Amos fragen.
    Ich hatte keinen Schlüssel, und selbst wenn, hätte ich ihn  ihm nicht gegeben. Er sollte die Schuhe des toten Jungen nicht bekommen, er sollte dem Alten nicht den Trost seiner Seele stehlen. Ich erhob mich, schüttelte mir den Staub von der Kleidung, rieb eine Hand an der anderen,um die Erde loszuwerden, sah sein Gesicht im scharfen Licht des Nachmittags, und ein Gefühl der Schwäche packte mich.
    »Ich habe keinen«, sagte ich und wandte die Augen ab, doch sie kehrten von selbst zu ihm zurück, trafen sich mit seinen und wichen nicht aus.
    »Haben Sie ihn besucht?«
    Er trat einen Schritt vor, bückte sich zur Petersilie. »Ganz und gar biologisch, nicht wahr? Nein, ich habe ihn nicht besucht.«
    »Haben Sie es vor?«
    »Mal sehen.« Er zog einen Petersilienstängel heraus, biss ein paar Blätter ab und kaute sie. »Ich zerreiße keine Kinder, nur Petersilie«, sagte er zu Nadav gewandt, der in der Nähe der Schaukel stand, mit Kiefernzapfen in den Händen. »Mach nur, was du machen wolltest, ich tu dir nichts.« Nadav rührte sich nicht. Augen schauten ihn an, wie er

Weitere Kostenlose Bücher